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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Hochschulrahmengesetz und den Vietnamkrieg gekämpft. Souverän bittet mich der Stationsleiter in sein Büro. Erst dort sind wir so frei, uns über das Wiedersehen zu freuen. Die gute alte Studentenherrlichkeit leuchtet bald in rosa Farben, und fast klingt alles so, als hätten wir nicht vor knapp zehn Jahren im Beton der Bochumer Universität studiert, sondern vor einem guten Jahrhundert unterm Heidelberger Schloß.
    An der Ems eher, gegen Mittag, geht es wieder hart an der Wirklichkeit entlang, aber es ist eine andere Emscher, die sich hinter Aplerbeck zurück ans Tageslicht wagt. Sie ist nun kein munterer Bach mehr, an dessen Ufern Kinder ihre Totenreichphantasien austoben könnten, sie ist selbst zu einem toten Fluß geworden, der leichenblaß wie verbrauchtes Abwaschwasser durch einen schnurgeraden Betongraben unter schnurgeraden Pappelalleen schnurgerade durchs Industrieland fließt, begleitet von Stacheldrahtzäunen, die alles Leben fernhalten sollen. Nur Ratten und Kaninchen gelingt es, hier zu existieren. Ohne natürliche Feinde haben sich besonders die Karnickel so stark vermehrt, daß mein Hund sie meist gleich scharenweise aufstöbert, zwanzig, dreißig Stück auf einem Fleck. Kommt Feldmann mit ekstatischem Gejaule auf sie zugerast, spritzen die Tiere in alle Richtungen auseinander, so daß er gar nicht weiß, welches Opfer er sich zuerst vornehmen soll. Wie irre jagt er hin und her, schlägt sich selber Haken, bis alle in ihren Löchern verschwunden sind. Die Enttäuschung des Jägers, sein etwas blöder Blick bei schief gestelltem Kopf, hält aber nicht lange vor, denn schon unter der nächsten Pappel sieht man wieder braune Ohren in der kurz gehaltenen Wiese wackeln, und auf ein neues fegt Feldmann drauflos.
    Nach einer wie mit dem Zirkel gezogenen Biegung verschwindet die Emscher erneut in einem Rohr unter einer Art Hochebene aus Schrott, Schlacke und Bauschutt. Ein riesiger Bagger steht einsam auf dem wüsten Feld, den Greifarm hoch in die Luft gereckt, so, als wollte er sich im nächsten Moment in den Müll graben. Aber der Fahrer ist im Betriebshäuschen auf seinem Sitz eingeschlafen, die Mittagspausenzigarre hängt noch schlaff zwischen seinen Lippen, auch möglich, daß er schon seit Tagen tot ist, denn weit und breit gibt es hier niemanden, der es hätte bemerken können. Weit und breit nur rostrote Wüste vor einer fernen Kulisse aus festungsähnlichen Fabrikgebäuden. Von dort sind schwere Schläge zu hören, wie wenn Eisen auf Eisen trifft.
    Wo aber ist die Emscher? Gradewegs gehe ich auf das ferne Getöse zu. Unter den dünn gelaufenen Sohlen spüre ich scharfe, kantige Unebenheiten, und auch Feldmann hat Mühe, seine Pfoten so zu setzen, daß es ihm nicht wehtut. Jetzt ein Kaninchen, und seine Läufe würden bluten, aber zu seinem Glück ist dieser Eisenacker wohl selbst den zähen Nagern zu hart. Der Lärm kommt näher. Ein Lautsprecher brüllt fast unverständlich die Zahl fünfundzwanzig. Ich stehe vor einem baumhohen Tor, in das eine kleine Metalltür eingelassen ist. Die Tür ist nur angelehnt, mit dem Ellenbogen drücke ich sie auf, und das tosende Krachen trifft mich wie ein Hammer. Ohrenbetäubend bricht sich das Dröhnen an den harten Wänden der Halle, ein Hochgebirgsunwetter im Ruhrgebiet. Jede Rockband könnte hier ohne Verstärker auftreten, kein Konzertsaal hat eine solche Akustik, solche Dimensionen. Ich stehe in einem Raum, dessen Größe mich zu einer Ameise schrumpfen läßt und Feldmann zu einem Floh. Gigantische Eisenquader türmen sich vor mir zu kantigen Steilwänden. Jeder Klotz ist mit einer endlosen Zahlenkolonne versehen. Vom Dach, das dem Himmel näher zu sein scheint als der Erde, baumelt ein mächtiger Eisenhaken herab, so, als fordere mich da oben der Herrgott persönlich zum Fingerhakeln auf. Menschen sehe ich keine. Sie sind auch viel zu klein, um hier entdeckt zu werden. Der Herrgottshaken wandert, wie vom Höchsten bewegt, an einer Stahlschiene entlang, bleibt dann in der Mitte der Halle stehen und schwingt, von dicken Trossen gehalten, langsam aus. Mehr passiert nicht. Optisch ist alles ruhig, aber die tosende Akustik treibt mich wieder aus der kleinen Tür im großen Tor. Dankbar folgt mir Feldmann um das Gebäude herum.
    Eine Straße führt uns immer tiefer in das Fabrikgelände, eine Industriekathedrale folgt der andern, überall pulsiert die Arbeit, es zischt und kracht und kreischt und knallt, aber nirgendwo sind Menschen. Angst steigt in mir auf,

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