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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Henrichenburg geht es auf einmal nicht weiter. Der Rhein-Herne-Kanal, die Verbindung des Dortmund-Ems-Kanals mit dem Rhein, kreuzt meinen Weg, und der Fluß läuft in einer breiten Abflußrinne auf Brückenpfeilern darüber hinweg. Künstlich wie die Fahrbahnen bei einem Autobahnkreuz schneiden sich hier schwarzes und graues Wasser, ohne sich zu mischen. Fußgänger haben bei dieser Flußüberführung keinen Platz, und so verläßt mich die Emscher, aber der Abschied fällt mir nicht schwer, denn am Kanal ist Leben. Fischer sitzen an den Ufern unter großen bunten Sonnenschirmen, die sie vor den Regenschauern schützen, Frachter aus Köln, Bremen, Basel, ja sogar Rotterdam, Wrozlaw und Frankfurt/O. folgen in dichtem Abstand voneinander und heißen »Poseidon«, »Madeleine«, »Erwin II« und »Heimat IV«. Schwerfällig wie trächtige Nilpferde arbeiten sie sich den Kanal entlang und sind dabei nicht viel schneller als ich. Wenn sie mich langsam überholen, gibt es genug Zeit zum Betrachten, zum Winken; ein Steuermann prostet mir aus seinem Führerhaus mit dem Kaffeebecher zu, eine Frau angelt sich schnell ihren Säugling aus dem Laufstall, bevor die nächsten Tropfen fallen, und da fast auf jedem Schiff auch ein Spitz vorne auf dem Bug hockt, hat Feldmann viel zu bellen.
    Die »MS Konradshöhe « im Hafen Herne-Ost wartet seit Tagen auf eine Ladung Kohle für Berlin. Kapitän Wolfgang Hartmann, dem die eintönige Liegezeit langweilig geworden ist, freut sich über meinen Besuch. Er lädt mich zu einem Tee mit Kandis und Rum in die Kombüse. Eigentlich wollte der gebürtige Ostpreuße ja zur See fahren, aber der Vater wollte nicht, und was in Ostpreußen der Vater nicht will, das wird auch nicht gemacht. Also fand man einen Kompromiß auf dem Wasser im Lande. Heute leben die Eltern in Berlin, die Freundin in Bremen und vermutlich mancher Balg dazwischen, denn Wolfgang sieht nicht schlecht aus. »Die Mädchen stehen auf mich«, berlinert der Ostpreuße, »heute hier, morjen da, det kommt bei manchen an .« Vom Heiraten will der Fünfundzwanzigjährige vorläufig nichts wissen, »dazu jeht’s mir noch zu jut , ich brauch meine Freiheit .« Der Wetterbericht meldet eine regenreiche Nacht. » Willste nich hier schlafen ?« fragt der Kapitän. » Ene Koje is frei, der Schiffsjunge hat zwe Tage Landurlaub .« Dankbar willige ich ein.
    Aber es ist noch früh am Tag, und ich hab’ noch Wichtiges vor. Direkt südlich von Herne liegt Bochum, keine 15 Kilometer entfernt ist die Laerholzstraße 40, mein ehemaliges Studentenwohnheim. Also lasse ich mein Gepäck mit Hund für ein paar Stunden auf dem Schiff und fahre — allen guten Vorsätzen zum Trotz — schwarz per Straßenbahn über den Hauptbahnhof zum staatlichen Studentenheim.
    An der Station »Ruhr-Universität« steige ich aus. Wie eine Schlachtschiffarmada auf dem Trockendock ragen die 16 grauen Universitätsgebäude in den grauen Himmel. Vor zehn Jahren war das hier noch eine riesige Baustelle, nur in den drei Gebäuden 1A, 1B und 1C wurde unterrichtet. Heute scheint alles fertig verbetoniert zu sein, auch die Neue Heimat hat fünfzehnstöckig zugeschlagen, die Selbstmordquote, Anfang der siebziger Jahre die höchste aller deutschen Universitäten, wird wohl proportional zu den Bauwerken in die Höhe geklettert sein.
    Am Staatlichen Studentenheim hat sich äußerlich mit den Jahren nichts verändert, in vertrauter Tristesse fugt es sich in die Betonlandschaft ein. Das Zimmer A 306, in dem mein Leben nach dem Abitur vor zwölf Jahren weiterging, ist zugesperrt. Im Flur mischt sich wie eh und je der Geruch von scharfen Reinigungsmitteln mit dem abgestandener Speisereste. Durch diesen Flur bin ich wie verrückt getanzt, als ich es endlich, nach so vielen Ängsten, geschafft hatte, mit einer Frau zu schlafen, durch diesen Flur haben sie zwei Jahre später dieselbe Frau mit einer Überdosis Schlaftabletten zum Notarztwagen getragen. Noch am selben Tag bin ich zum erstenmal richtig abgehaun , nachdem ich im Krankenhaus mit ihr endgültig »Schluß« gemacht hatte. In Amsterdam suchte ich mein Heil bei den Hippies, in Paris das Abenteuer, im protestantischen Kloster Taize schließlich probierte ich es mit dem lieben Gott — alles vergeblich. Nach drei Monaten kehrte ich enttäuscht nach Bochum zurück und wandte mich der Politik zu. Als Mitglied des Sozialdemokratischen Hochschulbundes wurde ich Sozialreferent im AStA, hatte ein richtiges Büro mit eigener Durchwahl und

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