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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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bleiben, obwohl ja Tiere eigentlich nicht zugelassen sind in der Herberge. »Haste etwa auch Bienen ?« »Nein, Flöhe habe ich keine, und der Hund ist auch sauber .« Also herein. Zwischen zwei doppelstöckigen Betten saßen vier Männer. Es waren Karl-Heinz, der Einäugige, von Beruf Straßenmusikant, Werner, der Einbeinige, Ex-Gefreiter bei der Leibstandarte Adolf Hitler und heute Bettler, genauso wie Paul I., genannt » Sechsämter-Paule «, nichts als Haut und Knochen, und Paul II., »Papst Paul«, Spätaussiedler aus Schlesien, Rentner mit 400 Mark im Monat, nebenbei Postkartenhändler. Alle vier Gäste waren Stammkunden bei Martha. Morgens fuhren sie um 8.36 Uhr wie brave Bürger mit dem Pendlerzug zwanzig Kilometer nach Würzburg zur Arbeit. Karl-Heinz spielte auf dem Marktplatz Mundharmonika, Werner und Paul I. gingen ihrem sitzenden Gewerbe nach, und Papst Paul verkaufte seine Hunde- und Katzenpostkarten. Mit zehn, manchmal zwanzig Mark kehrten sie nach einem harten Achtstundentag heim in die Kitzinger Herberge, bezahlten Martha 2,50 Mark Übernachtungsgeld (umsonst darf man hier offiziell nur einmal in sechs Monaten schlafen) und versoffen dann das, was übrigblieb. War die Chefin nüchtern und gutgelaunt, machte sie ihren Gästen auch mal eine Suppe heiß, »ohne unsere Martha«, sagte Werner, »wären wir schon längst wieder unterwegs«.
    Kurz vor Ladenschluß warf jeder sein verdientes Geld in den »Pott«, die Gemeinschaftskasse. Mit 19 Mark, mehr kamen diesmal nicht zusammen, gingen Karl-Heinz und ich zum Bierholen, halb Märzen, halb Pils, dazu eine Flasche »Kellergeister« für die Wirtin. Obwohl ich keinen Pfennig beisteuern konnte, wurden die zwanzig Flaschen redlich geteilt, die jedoch kaum reichten, um den Bettleralltag für diesen Abend vergessen zu machen. Karl-Heinz spielte schöne Schnulzen, vor allem »Junge, komm bald wieder«, da konnten alle mitsingen.
    Zu später Stunde kam auch die Wirtin aus ihrer Erdgeschoßwohnung nebenan. Sie war völlig betrunken und hatte einen Mantel über den Unterrock gezogen. Jedem von uns streichelte sie einmal über die Ohren, Sechsämter-Paule wagte, einen Griff ins Dekolleté und bekam dafür zärtlich einen auf die Finger. Und weil er als einziger noch was in der Flasche hatte, setzte sie sich dann doch auf seinen Schoß. Ein rührend trauriges Bild, die beiden zahnlosen Alten, wie sie sich engumschlungen über ihre Einsamkeit hinwegtrösteten. Doch ich ließ mich von diesem jammervollen Anblick nicht rühren, sondern zog meinen Fotoapparat aus der Jacke und fragte scheinheilig: »Will die einer kaufen, hab ich gefunden, ist wie neu, für fünf Mark geb ich sie her .« Mir war klar, daß fünf Mark für diese Minox ein Vermögen waren.
    »Nicht mal geschenkt würd ich die nehmen«, sagte Werner, »ist doch nur unnötiges Gepäck .«
    Aber nun war die Kamera auf dem Tisch, mehr wollte ich auch gar nicht. Unauffällig wie ein Profi hob ich sie ab und zu ans Auge. Die Arbeitsbedingungen waren günstig: Niemand fühlte sich durch mich gestört, das kalte Neonlicht zeichnete harte Kontraste auf die ausgezehrten Gesichter. Blende 2,8, Belichtungszeit 1/30. Sekunde, Entfernung 2 Meter. »Ist ja doch kein Film drin, du Spinner«, lallte Martha und prostete mir zu.
    Dann klopfte es heftig gegen die von innen verschlossene Tür. Meine Kamera war sofort wieder in der Jacke. Eine Frauenstimme schrie um Hilfe, ihr Mann wolle sie umbringen. »Das is nur die Inge von oben«, sagte Martha verärgert, »jede Nacht das gleiche Theater.« Draußen zerschellte eine Flasche. Dann setzte es Hiebe. »Jetzt bringt er sie mal wieder zur Strecke«, kommentierte die Wirtin gleichgültig und schnippte die Asche ihrer Zigarette in die Luft. Der Kampf draußen war schnell beendet. Martha nahm den letzten Schluck aus Pauls Flasche und wankte in ihre Wohnung. Sie war so blau, daß sie sogar vergaß, unsere Herberge von außen abzuschließen, wie das sonst üblich ist in den Pennen.
    Mir drehte sich der Kopf, mir drehte sich der Magen, aber meine einzige Sorge war: Hoffentlich sind die Bilder was geworden.

    »Behandelt mir den Jungen anständig, der Mensch ist aus gutem Hause .« Dies die Worte der Signora Leonardi , Chefin des Zirkus Leonardi , und dies mir, der ich eben erst verdreckt aus der Kitzinger Penne kam, noch grün im Gesicht und mächtig stolz, wie gut ich mich doch der Bettlerszene angepaßt hatte. Nach hundertfünfunddreißig Tagen auf der Landstraße war ich so gut ins

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