Deutschlandflug
Bombenterror gedroht! Und Sie weigern sich, mir alle Angaben zu machen, die weiterhelfen könnten!«
»Ich weigere mich nicht. Aber mir geht es um Umweltschutz. Ansonsten kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Schließlich«, so versuchte der Polizeipräsident das ins Stocken geratene Gespräch wieder flottzumachen, »es ist doch gerade das Streben der Polizei, das Gefühl von Sicherheit und Ordnung zu stärken. Der deutsche Bürger soll sich wieder wohl fühlen können. Das dürfte auch Ihnen zugute kommen.«
»Wollen Sie wirklich mal hören, wodurch ich mich hier in der Gegend so sauwohl fühle?« Als der Präsident auffordernd mit der Hand winkte: »Eine lange Liste gleichartiger Komponenten. Wirklich?«
»Ich bitte darum!« sagte der Präsident mit betonter Förmlichkeit.
»Zum Beispiel durch das Bewußtsein, daß in Darmstadt Friedrich Gundolf und Karl Wolfskehl geboren wurden. Das macht mir die Stadt und ihre Umgebung heimelig, so, wie mir der Heidelberger Philosophenweg durch Hölderlin heimelig geworden ist. Und – Sie wollten es ja wissen – in Darmstadt hat Stefan George ein Gymnasium besucht. Aber der ist ja schon von den Nazis lächerlich gemacht worden. Den guten Goethe werden Sie dem Namen nach kennen; der hat in Darmstadt mit Johann Heinrich Merck verkehrt. Und dann gibt es in Verbindung mit Darmstadt noch Kasimir Edschmid; Arno Schmidt – auch wenn er sich heute vor Ihrem Gefühl von Ordnung und Sicherheit tief in die Heide zurückgezogen hat, ist von der Stadtverwaltung Darmstadts einmal sozusagen physisch gerettet worden. Ernst Kreuder hatte, als er noch lebte, mit der späteren Stadtverwaltung wenig Glück; man wollte ihn aus seiner Kaisermühle werfen, in der er seit dem Kriegsende gehaust hat.«
»Sie müssen mich nicht für allzu dumm verkaufen!« unterbrach Querholz, nicht einmal unfreundlich. »Ich kenne mich sehr wohl aus im literarischen Kulturleben der Stadt. Ich verehre zum Beispiel die Werke der Frau Gabriele Wohmann, die ja eine rührige Vorleserin ist und auch das kleinste Provinznest nicht ausspart.«
»Na sehen Sie«, meinte Jason fast gönnerhaft, »so kommen wir direkt noch ins Gespräch! Die gute Gabriele, die immer so gern nach Texel gefahren ist – ja, ja. Karl Krolow lebt übrigens auch unter ihrem Schutz; aber außer Darmstadt kann sich Franken und Oberhessen überhaupt sehen lassen; Sie wollten ja wissen, weshalb ich mich in dieser Gegend so wohl beim Malen fühle. In Gießen hat der Darmstädter Georg Büchner studiert; in Fulda ist Reinhard Goering geboren; Sie werden ihn sicherlich nicht mit einem Herrn ähnlichen Namens verwechseln. Gebildet, wie Sie sind, wissen Sie: Es handelt sich um einen zu Unrecht vergessenen expressionistischen Dramatiker, dessen Werk heute verramscht wird. Ich will nicht von Hans Memling und Ernst Elias Niebergall aus Seligenstadt am Main sprechen: Aber Sie kennen Ulrich von Hutten aus der Fuldaer Klosterschule. Er hat als erster den Dialog in der deutschen Literatur angewandt.«
Jason begann, sich in aller Ruhe eine Pfeife anzuzünden. Querholz ließ ihn gewähren, mit einer Ruhe, die angesichts der äußeren Umstände kaum weniger bewundernswert war.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit!« – Keine Spur von Ironie; er meinte es ehrlich, wenn auch nicht ohne Absicht.
»Über Frankfurt brauchen wir kaum ein Wort zu verlieren! Obwohl diese Stadt als reine kaltnüchterne, durch und durch amerikanisierte Geschäftsmetropole hingestellt wird, fühlen sich im Klein-Chicago eine überraschende Anzahl von Künstlern wohl. Dies, obwohl die kriminelle Frage alles andere als befriedigend aus dem Blickwinkel eines Polizeipräsidenten gelöst sein dürfte …«
»Sie schweifen ab, mein Bester …«
»Sie wissen, daß hier das erste Faustbuch gedruckt wurde, fünfzehnhundertundsiebenundachtzig. Goethe trieb es hier und in der näheren Umgebung recht bunt: Er hatte es mit Marianne, Bettina und Lili. Auch auf Hölderlin wirkte sich die Frankfurter Atmosphäre erotisch stimulierend aus: Er war Hauslehrer bei der Bankiersfamilie Gontard; und Sie wissen, daß aus der Frau des Bankiers die unsterbliche Diotima wurde. Der Frankfurter Ludwig Börne allerdings würde mit seinen ketzerischen Schriften wohl kaum Ihren Gefallen erregt haben; und Schopenhauer starb dort am Ufer des Mains. Auch der Pazifist Fritz von Unruh hätte kaum Ihre Sympathie gefunden. Aber die Bücher der Frau Ricarda Huch sind Ihnen natürlich ein Begriff. Frau Marie Luise Kaschnitz lebte
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