Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
heraus. Und das sind dann die deutschen Sexhelden, die am Stammtisch und in den Konferenzen so mit ihrer verruchten Sexualität auf den Putz hauen? Man muß sie nur mal beim Wort nehmen – dort, an der geteerten Klowand –, und die ganze Playboytünche blättert ab; und darunter steht dann der deutsche Gartenzwerg und begießt seien Schrebergarten … Aber mit einer Blechgießkanne! Die andere funktioniert ja kaum!«
    Er lachte schallend, schockiert und amüsiert gleichzeitig. Endlich konnte er überholen. Der Rhein lag wieder vor ihnen. In der Ferne, von Mainz her, sah er den weißen Dampfer kommen. Er war gerade an Geisenheim vorbei und stieß sanfte Rauchwölkchen aus. Als er auf den Parkplatz einlenkte, versprach er: »Ich werde eine bessere Lokalität auftreiben als ein Männerklo!«
    Er strich ihr zärtlich übers Ohrläppchen und stellte ungeschickt die Zündung ab; es klirrte.
    »Weißt du, was mir an dir so gut gefällt?«
    »Na?«
    »Du behandelst mich nicht wie eine Hure!« sagte sie.
    Wenn Gundolf in den vergangenen Wochen durch die halbfertigen Schalterräume, Großraumbüros und Gepäckhallen geschlendert war, kam ihm oft der Verdacht, daß sich die Technik immer mehr zum reinen Selbstzweck gemausert hatte. Als Tarnung benutzte sie den Vorwand der Funktionalität; unter diesem Deckmantel wütete sie schlimmer über die abgasverseuchte Erde als einst die Horden Dschingis-Khans. Die Wälder, die bis zum letzten Buchenhain den sich verbissen vorwärtsfressenden Großbaggern hatten weichen müssen, waren ein Symbol dafür. Man hätte, ähnlich wie auf schwedischen Flugplätzen, die Landschaft miteinbeziehen können. Die herrlichen Bäume hätten sich vor den nackten Glas- und Betonwänden ausgezeichnet gemacht. Auf den gigantischen Parkplätzen würden die Fahrer auf dem Weg an ihre kilometerweit verstreuten Autos in der schattenlosen Hitze schmoren. Mit echt deutscher Gründlichkeit hatte man jede Spur von Flora bis zum letzten Halm ausgemerzt, um dann für teures Geld neue mickrige dürrstämmige Bäumchen hier und da anzupflanzen – spärlich verteilt wie die letzten Haare auf der triumphierenden Glatze.
    Um den Selbstzweck zu tarnen, erfand man Zwänge, die man dem Konsumenten als unumgängliches echtes Bedürfnis aufschwatzte.
    Als typisches Beispiel fiel ihm immer die Kaffemühle seiner Mutter ein: ein an die Schrankwand geschraubter blauer Porzellanbehälter mit gläsernem Auffangbecher und Handkurbel. Es war ein Kinderspiel, diese Kurbel zu drehen; und tatsächlich hatte er schon als Zehnjähriger mit Begeisterung sämtlichen Kaffee der Familie gemahlen. Der Duft, der dabei langsam unter dem Holzdeckel aufzusteigen begann, sollte noch Jahrzehnte später bei der Rückerinnerung ein Begriff für Heimat und Geborgenheit sein. Als die ersten elektrischen Mahl- und Schlagwerke auftauchten, hatte er lauthals gelacht. Litt die Männlichkeit der Nachkriegszeit an Muskelschwund? Waren ihre Arme zu schwach, drei Minuten lang an einer leichtgängigen Kurbel zu drehen? Inmitten der rechtwinkligen Massenzellen des Haupttrakts sehnte er sich intensiv nach dem Duft aus der Kaffeemühle seiner Mutter.
    Er blickte prüfend in die Gesichter seiner Kollegen, wenn sie ihre neue Welt auf sich wirken ließen – empfanden sie ähnlich wie er? Vielen mußte es genauso ergehen, woher sonst der moderne Trend zu dem Kitsch der zwanziger Jahre? Litten sie alle unter Nostalgie, der modernsten Zivilisationskrankheit? Hatte niemand den Mut, zuzugeben, wie scheußlich er diese blasphemische Anhäufung von Kunststoff und kahlem Beton fand? Warum warfen sie den ganzen Kram nicht über Bord und lebten so, wie es ihrem inneren Bedürfnis entsprach? Die Antwort war einfach; sie galt für ihn genauso: Sie alle waren von einer Art Rattenfänger auf eine Meeresinsel gelockt worden, auf der jedes individuelle Abweichen von den gesellschaftlichen Notgesetzen der Masse in den Untergang führte.
    Die künstlerische Phantasielosigkeit moderner architektonischer Gebilde provozierte geradezu eine neue Art von Mythenbildung. Irgendwie mußte die menschliche Seele versuchen, eine Beziehung zu dem leblosen Stein zu finden; der bequemste Weg war die Flucht in den Mystizismus. Inmitten der schwingenförmig sich öffnenden Hallendächer und des unterirdischen Tunnel- und Röhrensystems kam er sich wie in einem riesigen Mutterleib vor, aus dem die Passagiere über die Uterusse der Fahrgastbrücken ausgestoßen wurden: Der ganze Flughafen war

Weitere Kostenlose Bücher