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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schutzanzügen eingekleidet werden, um nicht bei jeder schlechten Note von Zehnjährigen k.o. geschlagen zu werden. Ritualmorde würden an der Tagesordnung sein; der Vertrieb von Büchern über alte Geheimkulte, Schwarze Magie und Schwarze Messen zur Bestsellerei werden. Die Raucher würden nicht mehr wagen, in einer dunklen Straße an einem Nichtraucher vorbeizugehen, die Fußgänger Freiwild für Autofahrer werden. Opelfahrer würden ihre Verachtung für Mercedesfahrer in Duellen auf der Autobahn austragen und umgekehrt. Männer, die den Frauen nicht zu Willen waren, würden von amazonenähnlichen Trupps erdrosselt werden. Wie man sich überhaupt ähnlich chaotisch und radikal verhalten würde wie primitive Völker, denen man zu früh das Selbstbestimmungsrecht gegeben hatte. Und das Hübscheste, dachte Dollinger querab von Freiburg, war, daß diese restlose Auflösung der alten Gesellschaftsordnung von der damit großwerdenden Generation für genauso normal und unabänderlich gehalten werden würde wie von der jetzigen die alltägliche grauenhafte Autoschlange im Stoßverkehr oder die Millionen Krebstoten pro Jahr. Statt dessen würde man sich, wie Anno 1973 im Spätsommer, über knapp zwei Dutzend Choleratote in Italien maßlos aufregen!
    »Prost!« sagte Dollinger laut zu sich; die Bratschistin sah erstaunt von den Violettenschöpfungen des Digiuni Luigi aus Cremona auf.
    Die ›Steppenadler‹ flog vorbei an Aschaffenburg; und Dollinger, der sich ablenken wollte, konzentrierte sich auf das Schloß Johannisburg, das mit seinem rostrot schimmernden Turmquadrat aus dem Dunst der Stadt ragte. Das riesige Flugzeug glitt fast lautlos an Darmstadt und Rüsselsheim vorüber; seine drei General-Electric-Turbinen liefen auf Sparflug, schoben es aber noch immer mit rund 480 km/h durch die Luft – so schnell wie die alte Generation der Super-Constellations etwa fliegen konnte. Mit einer leichten Linkskurve bog sie auf den Main zu und verfolgte seine Westkurve bei Mainz; und jetzt konnten alle an Backbord sitzenden Passagiere den Komplex des neuen Lilienthal-Flughafens unter sich vorbeigleiten sehen; die linke Tragflächenspitze umkreiste dabei sanft den Turm der Flugdienstzentrale; in der Ulla Voorst, wenn auch eine gute Minute zu früh, gegen die Decke gestarrt hatte …

12
    »Deutschland ist eigentlich ein reizvolles Land!« meinte Ronald Wittekop. »Man darf nur nicht zu dicht herangehen!«
    Sie standen, fleißig bestellte Weingärten hinter sich, einen versumpften Flußausläufer vor sich, am Rhein. Hinter dem gegenüberliegenden Ufer wurden die hellgrünen Hänge des Binger Waldes sichtbar, leuchteten sanft in der Sonne auf und verwischten hinter den Schlieren von Dunst und Abgasen. Der Fluß war vollgepfercht mit Kähnen, Dampfern, Motorbooten, Fähren und Barkassen. Wenn die Wellen vor ihren Füßen schwappten, sah man auf dem flachen schwarzen Boden Plastikflaschen, Blechkanister heranrollen. Grünbraune Schleimfäden von Algen überzogen das tote Wasser, und es roch nach einer Mischung aus Chemieabfällen und Leichenhalle.
    »Mann!« Rut nestelte erstaunt an ihrem Rock und kratzte sich dann demonstrativ am Gesäß. »Für das, was du geleistet hast, bist du aber noch erstaunlich aktiv!« Sie sah auf den Wagen zurück, der mit den Vorderrädern leicht in die Wiese gesackt war, als hätten die Insassen ihn übermäßig belastet. »Ist der Junge nicht auf seine Kosten gekommen?«
    Ronald rieb sich mit dem Mittelfinger die Nase. »Rhetorische Fragen erfordern große Antworten: Es war eine Sternstunde – eine Präliminare sozusagen. Sternstunden pflegen bei mir sonst immer erst nach dem dritten Fünfuhrcognac einzutreten.«
    »Wir waren beide gut!« sagte sie lobend, als handele es sich um ein Quiz. »Weißt du, was das Gute war?«
    »Ich könnte dir eine Masse guter Stellen nennen!«
    »Das Gute war: Es war keine Völlerei. Wir haben uns noch einen Rest von Appetit aufgehoben, hatte ich den Eindruck. Na ja, dann brauchst du heute abend auf der Bude deine Kommilitoninnen nicht zu enttäuschen. Treibst du es schlimm?«
    »Gelegentlich …«
    »Mit mehreren gleichzeitig?«
    »Gelegentlich .«
    »Na, dann viel Spaß heute abend!« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, besann sich, griff ihm zärtlich-wild ins üppig schießende Haar und zog sein Gesicht an sich. »Es war nett mit dir, so am frühen Morgen.«
    »Hör mal …« Er versuchte sanft, sich zu entwinden, um etwas Wichtiges zu sagen. »Das mit dem

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