Dezembergeheimnis
wieder früh raus.«
Er nickte, erhob sich und breitete sein Bettzeug über der Couch aus, während Lea ins Bad ging, um sich bettfertig zu machen und in ihren Pyjama zu schlüpfen. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, lag Noel bereits unter der Decke.
»Lea?«, fragte Noel, kaum dass sie das Licht ausgeschaltet hatte.
»Ja?« Sie drehte sich nicht um, da sie ihn ja sowieso nicht sehen konnte.
»Du hast vorher noch nie Männerklamotten gekauft, oder? Warum?«
Schmunzelnd erwiderte sie: »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich bin eine Frau.«
»Aber gab es vorher niemanden, für den du mal welche besorgen musstest?« Er gab nicht auf, aber sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. Zögerlich schluckte sie, denn sie wusste genau, was er mit dieser Frage bezweckte.
»Nein, gab es nicht«, antwortete sie schließlich ehrlich. Noel schwieg einen Moment, ihre Augen gewöhnten sich derweil an den Lichtmangel.
»Gehen wir wieder zusammen einkaufen?«, erkundigte er sich leise.
Sie wandte den Kopf zu ihm und erkannte seine liegenden Konturen auf dem Sofa.
»Gerne.«
Er erwiderte nichts, aber sie bewegte sich trotzdem nicht fort. Durch den dünnen Vorhang des Fensters drang gerade so viel Licht, dass es dunkle Schatten auf sein Gesicht werfen konnte und sie seine Augen somit vergebens suchte. Sah er sie an?
»Ich würde gerne für immer mit dir einkaufen«, gestand er und sie wusste, dass es dabei nicht um Klamotten oder Lebensmittel ging. »Jeden Tag.«
»Wenn wir jeden Tag einkaufen gehen würden, wäre ich bereits nächste Woche pleite«, antwortete Lea, doch ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Es war schön, solche Worte zu hören. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich in der Gegenwart eines Mannes als etwas Besonderes, sodass sie für diesen Moment sogar das erste Mal vergaß, dass er kein echter Mensch war.
»Schlaf schön, Noel.«
»Schlaf schön, Lea«, erwiderte er zärtlich.
Kapitel 6
Klick. Klack.
Klick. Klack. Klick.
Klack.
Lea seufzte und starrte an die überdimensionale Uhr über dem Eingang der Bibliothek.
Klick-Klack-Klick-Klack-Klick-Klack-Klick-
…
»Lea, jetzt hör doch mal auf!«, stöhnte Maria genervt und schnappte ihr mit einer schnellen Bewegung den Kugelschreiber aus der Hand. Verdattert sah sie auf; sie hatte gar nicht wahrgenommen, dass ihre Kollegin neben ihr stand.
»Du bist in letzter Zeit immer so nervös und ungeduldig … Was ist denn los?« Die rothaarige Bibliothekarin stützte sich auf dem Bücherstapel auf, der sich in der vergangenen halben Stunde unbemerkt neben Lea aufgetürmt hatte.
Los? Nichts war los. Nur weil Noel wahrscheinlich gerade auf Entdeckungstour durch ihr Wohnzimmer tigerte und dabei
garantiert
auf irgendwas stieß, wofür sie sich rechtfertigen musste – sie konnte ja schlecht alles einfach wegwerfen – war doch noch lange nichts los.
»Bei mir ist alles in Ordnung«, log sie und presste unschuldig dreinsehend ihre Lippen aufeinander. Maria hob abwartend die Augenbraue, bis Lea seufzend die Luft ausstieß. »Ich will nur nach Hause.«
Das war prinzipiell die Wahrheit und umfasste das Problem; immerhin grob. Doch so leicht ließ Maria sich nicht abwimmeln.
»Du kannst immer mit mir reden, das weißt du, oder?«
»Es ist nichts, ich hab nur schlecht geschlafen.« Lea griff nach dem Kuli, der neben dem Gästebuch lag, und klickte erneut ein paar Mal vor sich hin. Sie wussten beide, dass sie Maria nichts vormachen konnte. Dafür log sie einfach zu schlecht. Trotzdem ließ ihre Freundin sie den Rest des Tages in Ruhe – wenn man ihre bohrenden Blicke ignorierte.
Bei dem Gedanken an Noel wurde Lea gleichzeitig warm und kalt. Ihr Herz raste, auch wenn sie sich mit aller Kraft darum bemühte, es davon zu überzeugen, dass es dazu keinen Anlass gab. Er würde sie für nichts verurteilen, dafür war es ihm zu wichtig, sich bei ihr im grünen Bereich zu befinden – und dafür müsste er schließlich erst mal selbst so was wie Geschmack entwickeln. Trotzdem.
Kaum war Maria verschwunden, klingelte auch schon wieder das heute besonders aufmerksamkeitsbedürftige Telefon. Doch dieses Mal war es kein nerviger Kunde, der seine Leihfrist zum x-ten Mal verlängern wollte.
»Lea, super, dass du gleich dran bist. Wie heißt der Kerl?«
»Sally? Bist du das?«
»Ja, wer sonst?«
»Welcher Kerl …?«
»Natürlich dieser Noel oder hast du dir noch ein paar dubiose Mitbewohner angelacht?« Bevor Lea auch nur darauf
Weitere Kostenlose Bücher