Dhalgren
badet jemand!«
Er ließ das Wasser ab und lehnte sich erschöpft und sauber zurück. Einige Male wischte er über den Dreckrand, der breiter war als Loufers Gürtel. Er preßte den Rücken gegen Porzellan. Das dort gestaute Wasser lief ihm über die Schultern. Er saß da und überlegte, ob man sich bewußt selber trocknen könnte. Und trocknete langsam.
Er blickte auf seine Schulter, die mit Poren gesprenkelt und mit winzigen Fältchen durchzogen war, die wohl die Zellen voneinander trennten. Dunkler Flaum darüber. Er fuhr mit dem Mund über seine Haut, leckte das entsalzte Fleisch, küßte es; küßte die hellere Stelle, wo sich Venen über die Brücke von Bizeps zu Unterarm spannten, merkte mit einem lauten Auflachen, was er tat, küßte sich aber weiter. Er stemmte sich hoch. Tropfen perlten an den Rückseiten seiner Beine hinab. Ihm war taumelig; winzige Flämmchen tanzten auf den Kacheln. Er stieg hinaus. Bei der plötzlichen Anstrengung pochte sein Herz.
Er nibbelte sich das Haar, tupfte vorsichtig seine Genitalien trocken. Kniend gelang es ihm besser, die Haare, den Schmutz und die Dreckflocken aus der Wanne zu waschen.
Er nahm seine Hose, schüttelte den Kopf; nun, was blieb ihm anderes übrig. Er zog sie an, kämmte das nasse Haar mit den Fingern, stopfte sein Hemd in den Bund, schnallte die Sandale zu und ging in den Flur. Hinter seinen Ohren war noch Feuchtigkeit, und es fühlte sich kühl an.
»Wie oft haben Sie gebadet?« fragte Mr. Richards. »Drei Mal?«
»Zweieinhalb«, grinste Kidd. »Hallo Ma - Mrs. Brown.«
»Man hat mir erzählt, wie schwer Sie gearbeitet haben.«
Kidd nickte. »War nicht so schlimm. Werd' wahrscheinlich morgen fertig sein. Mr. Richards, Sie sagten, Sie hätten einen Rasierapparat?«
»Oh, ja. Sind Sie sicher, daß Sie nicht meinen elektrischen wollen?«
»Ich bin an den anderen gewöhnt.«
»Sie müssen sich nur mit richtiger Seife begnügen.«
»Arthur«, rief Mrs. Richards aus der Küche, »du hast doch noch die Rasiercreme, die dir Michael zu Weihnachten geschenkt hat!«
Mr. Richards schnippte mit den Fingern. »Das habe ich ja ganz vergessen. Ist schon drei Jahre her. Ich habe sie überhaupt nicht geöffnet. Hatte auch damals einen Bart. Ich hatte einen ganz schönen Bart, glauben Sie mir.«
»Es sah albern aus«, sagte Mrs. Richards. »Ich habe dafür gesorgt, daß er wieder runterkam.«
Wieder im Badezimmer seifte er sich ein und schabte dann den warmen Schaum ab. Unter der Klinge kühlte sich sein Gesicht ab. Er beschloß, die Koteletten ein bißchen länger stehenzulassen. Jetzt reichten Sie (in zwei gut sichtbaren Stufen) ein gutes Stück über die Ohren hinaus.
Einen Moment lang, während er sich den heißen Waschlappen übers Gesicht legte, dachte er im Dunkeln über das Muster in seinen Augen nach, doch wie alles in diesem Haus schien auch das von überlegter Unüberlegtheit.
Aus der Küche: »Bobby, bitte komm her und deck den Tisch. Also!«
Kidd ging ins Wohnzimmer. »Ich wette, Sie erkennen mich nicht wieder«, sagte er zu Madame Brown.
»Oh, das kann ich nicht behaupten.«
»Abendessen fertig«, sagte Mrs. Richards. »Kidd, Sie und Bobby bitte dahinten. Edna, du sitzt hier neben June.«
Madame Brown ging hinüber und bewegte ihren Stuhl. »Muriel, du bleibst da unten und rührst dich nicht, verstanden?«
Er quetschte sich zwischen Wand und Tisch - und riß eine Ecke des Tischtuches mit.
»Ach, du meine Güte!« Madame Brown griff nach einem umfallenden Messingleuchter. (In dem plötzlich sichtbar gewordenen Mahagoni beruhigte sich die Flamme.) Im Kerzenlicht hatte ihr Gesicht wieder diese müdäugige Billigkeit wie gestern abend in der Bar.
»Jesus«, sagte Kidd, »es tut mir Leid.« Er zog das Tuch wieder zurück auf den Tisch und richtete das Silberzeug aus. Mrs. Richards hatte eine Unmenge von Gabeln, Löffeln und Tellern aufgedeckt. Er wußte nicht genau, ob er alles wieder an seinen richtigen Platz gelegt hatte oder was seines oder was Bobbys war. Schließlich setzte er sich. Zwei Finger spielten mit dem verzierten Griff eines Messers. Er beobachtete, wie sie es rieben: dick mit groben Gelenken und abgebissenen Nägeln, doch leuchtend sauber. Nach einem Bad, dachte er, wenn man mit sich selbst im Badezimmer allein ist, kann man alles das machen, was man in Gegenwart anderer nicht tut: dummes Zeug, in der Nase bohren und es dann essen, richtig Nägelkauen. War es ein falscher Begriff von guten Manieren, der ihn hier daran gehindert
Weitere Kostenlose Bücher