DHAMPIR - Blutsverrat
die Beine, damit der kurze Rock nicht mehr zu sehen war. Emêl nahm die Zügel und lenkte den Karren auf die Hauptstraße zurück, die durch Venjètz führte.
Als sie das wohlhabendere Viertel der Stadt verließen, schaute Magiere zurück und vergewisserte sich, dass nichts von Leesil zu sehen war. Auf der linken Seite glitzerte etwas, und sie drehte den Kopf.
Ihr Blick strich über die Gebäude, als der Karren durch die Straße rollte. Hatte sie in einem Fenster widergespiegelten Lampenschein gesehen? Das Glitzern wiederholte sich, erneut auf der linken Seite, aber weiter hinten.
»Halt an«, flüsterte sie.
Emêl zog die Zügel. »Was ist?«
Magiere sah an den Gebäuden entlang: eine kleine einstöckige Taverne, zwei Häuser und dann der Laden eines Gerbers. Alles war dunkel und ruhig. Gingen die Nerven mit ihr durch?
»Nichts«, sagte sie. »Fahren wir weiter.«
Emêl runzelte die Stirn und sah kurz in die Richtung, aus der sie kamen. Dann ließ er die Zügel schnalzen, und Taff und Teufelchen setzten sich wieder in Bewegung.
Als sie sich schließlich dem Haupttor näherten, befahl der Baron den Soldaten, das Tor zu öffnen, und keiner stellte Fragen. Ein Soldat, der ein altes Kettenhemd über wärmender Wolle trug, bedachte Magiere mit einem langen Blick, der nicht nur ihrem Gesicht galt. Dann wandte er sich mit einem amüsierten Lächeln ab und schüttelte den Kopf. Sie atmete erleichtert auf, als sie das Tor passiert hatten und Venjètz hinter ihnen zurückblieb.
Taffs und Teufelchens Hufe klapperten weiter über die Straße. Magiere hielt den Blick nach vorn gerichtet, um nicht die verwesenden Leichen an der Außenmauer zu sehen. Es war schon schlimm genug, sie zu riechen und das leise Knarren eines Käfigs zu hören, der im Wind hin- und herschwang.
Der Wald rückte näher, als sie sich von der Stadt entfernten. Das Licht eines fast vollen Mondes fiel auf die Straße. Hart gefrorene Radfurchen im Boden ließen den Karren immer wieder schaukeln. Magiere zwang sich zur Ruhe und wartete eine ganze Weile, bis sie schließlich einen Blick zurückwarf und feststellte, dass die Stadtmauer hinter ihnen außer Sicht geraten war.
»Wohin jetzt?«, fragte sie.
»Die Straße führt nach Westen in die Vorberge«, sagte Emêl. »Wir machen bald halt und kehren dann zu Fuß durch den Wald zum See zurück.«
»Kann sich die Ladung jetzt bewegen?«, kam Byrds gedämpfte Stimme unter der Plane hervor.
»Ja«, antwortete Magiere. »Ich bezweifle, dass in einer so kalten Nacht Reisende unterwegs sind.«
Sie drehte sich halb um und beobachtete, wie Byrd, Chap und Leesil Decken und Planen zurückschlugen. Byrd setzte sich auf und blickte in den Wald.
»Wir sind nahe genug«, sagte er und deutete auf eine Stelle weiter vorn. »Dort verstecken wir den Karren und die Pferde.«
EmêllenktedenKarrenzwischendenBäumenhindurchaufeinekleine,vonBüschenundSträucherngesäumteLichtung.Alleklettertenherunter,undLeesilnahmDeckenvonderLadefläche.Erhielteinehoch,undMagierezogsichdahinterum.NachdemsiedasKleidabgelegthatteundwiederWollpulloverundLederhemdtrug,schnallteLeesilseineKlingenanundbandsichdenWerkzeugkastenaufdenRücken.
Magiere knöpfte ihr Lederhemd zu, und Leesil reichte Emêl und Byrd zwei Lampen. Jetzt, da er etwas zu tun hatte, wirkte er wieder mehr wie er selbst. Magiere nahm einen Dolch von ihm entgegen, den sie sich an den Gürtel steckte. Als alle bereit waren, führte Byrd sie tiefer in den Wald.
Schon nach kurzer Zeit erreichten sie den im Mondschein schimmernden See. Auf der anderen Seite ragte die dunkle Silhouette der Festung aus dem Wasser, und von ihren vier Türmen kam das rote und orangefarbene Glühen brennender Feuer. Chap begann damit, am Ufer zu schnüffeln.
»Es ist alles gut überlegt«, sagte Emêl. »Wer sich über den See nähert, bietet den Bogenschützen ein leichtes Ziel. Für die meisten Belagerungsgeräte ist die Festung praktisch unerreichbar.«
Magiere schaute über den See.
»Zündet die Lampen noch nicht an«, sagte Leesil. »Man könnte ihr Licht dort drüben sehen. Begnügen wir uns zunächst mit dem Mondschein.«
Emêl runzelte die Stirn. »Wonach genau suchen wir?«
Als Leesil nicht antwortete, stellte Magiere eigene Fragen. »Wie könnte Lady Progae von der Festung aus das andere Ufer des Sees erreichen? Gibt es im Keller vielleicht ein Boot, das klein genug ist, um unbemerkt zu bleiben? So etwas würde uns nicht dabei helfen, in die Festung zu gelangen.«
Byrd
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