Dhampir
übrig. Willst du allein für unser Volk entscheiden, wie ein menschlicher Monarch?«
»Darum geht es mir nicht«, entgegnete Léshiâra scharf. »Hier gibt es zu viele, die uns brauchen.«
Sorhkâfaré schüttelte den Kopf. »Und wenn es gerade jene sind, durch die der Feind uns erreichen kann? Dort draußen außerhalb des Walde s … die Ungeheuer, die tot sind und doch lebe n … Sie waren einst Menschen wie die unter uns.«
»Du weißt nicht, auf welche Weise ihnen dieses Unheil widerfuhr«, knurrte Hoil’lhân. »Ebenso wenig ist dir bekannt, ob der Feind die Menschen finden kann, die hier bei uns Schutz suchen.«
Sorhkâfaré drehte sich um und starrte durch die Lücken zwischen den Bäumen, als könnte er bis zum Waldrand sehen. Léshiâra schwieg und schloss die Augen, schien mit jedem verstreichenden Moment älter und müder zu werden.
Er durfte nicht nachgeben.
»Wir brechen mit den Angehörigen unseres Volkes auf. Vielleicht kommen auch die Wölfe mit. Wir lassen dieses Land so weit wie möglich hinter uns zurück, pflanzen das mitgenommene Stück von Chârmune ein und schaffen einen Ort, der uns Sicherheit bietet, den der Feind nicht erreichen kann.«
»Für uns?«, wiederholte Snähacróe.
»Nicht für die Menschen«, sagte Sorhkâfaré.
»Die Fremden können gehen!«
Chap wusste nicht, wer diese Worte sprach, aber sie brachten ihn in die Realität zurück. Die Beine drohten unter ihm nachzugeben, als er sich aus den Erinnerungen des Ältesten Vaters löste.
Neben ihm sank Leesil auf ein Knie und wollte ihm helfen, aber Chap fasste sich schnell und wahrte das Gleichgewicht.
Mehrere Anmaglâhk kamen hinter dem Ältesten Vater hervor, und unter ihren drohenden Blicken wandte sich Chap zusammen mit Leesil und Wynn ab. Magiere gesellte sich ihnen hinzu, als die Elfen sie von der Versammlungslichtung führten.
Chap bemühte sich, mit den anderen Schritt zu halten, aber er zitterte noch immer. Er beobachtete, wie Magieres langer schwarzer Zopf hin- und herschwang, als sie sich beim Gehen an Leesil lehnte.
Er wusste, warum der Älteste Vater Magiere so sehr fürchtete, obgleich der Greis nicht genau verstand, wer oder was sie war. Er sah in ihr nur einen Schatten der Geschöpfe, die er damals jenseits der Waldes gesehen hatte. Aber in Wirklichkeit war Magiere etwas weitaus Schlimmeres als ein Angehöriger jener Horde.
Sie war ein Mensch, von einem Untoten gezeugt. Und doch wanderte sie frei und ungehindert durch dieses Land. Chaps Gedanken kehrten zu der von Furcht hervorgerufenen Vision im Wald von Pudúrlatsat: Magiere an der Spitze einer Streitmach t …
Nein, es war keine Streitmacht, sondern eine Hord e – eine, die das geschützte Land ohne sie nicht betreten konnte.
Wenn er doch nur Gelegenheit gefunden hätte, allein mit ihr zu reden, ohne dass Wynn für ihn übersetzen musste. Es wäre Chap lieber gewesen, wenn nur sie davon erfahren hätte, aber dieser Wunsch blieb unerfüllbar.
Chap blinzelte, doch die Erinnerungen des uralten Elfen kehrten immer wieder zurück und schufen geisterhafte Bilder vor seinem inneren Auge. Ein Krieg hatte die Lebenden am Ende einer Zeit verschlungen, die man heute das »Vergessene« nannt e – die vergessene Geschichte der Welt. Auf der Ebene jenseits des Waldes mit der Ersten Lichtung hatte der Älteste Vater die vom Feind geschickten Untoten beobachtet.
Sie alle, ohne eine einzige Ausnahme, waren Menschen gewesen.
22
Nachdem Leesil dem Ältesten Vater die Nachricht der Vorfahren überbracht hatte, führte man sie zu ihrem Wohnbaum zurück. Die Anklage des Ältesten Vaters war zurückgewiesen, und Magiere drohte keine Verurteilung mehr, aber die Clan-Oberhäupter setzten ihre Beratungen fort, und Leesil befürchtete weitere böse Überraschungen. Er hatte noch immer des Gesicht des uralten Elfen vor Augen, die Furcht und den Schmerz darin, doch es hatte sich keine Anteilnahme in ihm geregt. Seine Mutter war noch immer gefangen, und er hatte keine Gelegenheit bekommen, um ihre Freilassung zu bitten oder sie zu verlangen.
Magiere kauerte in der Mitte des Raums auf dem Boden, so weit wie möglich von den Wänden aus lebendem Holz entfernt. Wynn saß gedankenverloren auf dem Bett, Chap zu ihren Füßen. Der Tag zog sich dahin, während Leesil endlos umherwanderte. Magieres Blicke folgten ihm.
Sie zitterte nicht mehr, wirkte aber noch immer sehr erschöpft. Nach einer Weile holte er Wasser und einige Nüsse und Beeren für sie, ging neben Magiere in
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