Dhampir
Land Schutz genossen. Jetzt fragte er sich, wie weit der Brauch des Schutzversprechens reichte. Nach und nach verklangen die Stimmen, und schließlich brachte Sgäile die Elfen dazu, den Weg für ihn freizugeben.
Leesil hörte und fühlte, wie etwas über die Truhe auf seinem Rücken kratzte.
Sie fiel zu Boden, als sich plötzlich die Riemen lösten.
Er wirbelte herum und sah Én’nish mit einem langen Stilett in der Hand. Sie machte sich gerade daran, die Truhe zu öffnen. Leesil war so sehr auf die anderen Elfen konzentriert gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie Én’nish hinter ihn getreten war, um sich der Truhe zu nähern.
Magiere sah, wie die Truhe auf Leesils Rücken zu Boden fiel. Én’nish ging in die Höhe und machte sich am Verschluss zu schaffen.
»Nein!«, rief Magiere und sprang zur Truhe.
Én’nish streckte die Hand aus und versetzte ihr einen Schlag ans Knie.
Magiere ging zu Boden und bekam keine Gelegenheit, die Truhe zu packen. Én’nish klappte den Deckel auf, bevor Leesil ihr die Truhe entreißen konnte.
Das Tuchbündel darin fiel heraus, und zwei Totenköpfe rollten über den Boden.
Jemand schnappte nach Luft.
Es folgten Rufe, die Magiere nicht verstand. Schmerz stach in ihrem Bein, und sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Zu viele Dinge geschahen gleichzeitig. Hilflos beobachtete sie, wie Leesil versuchte, die beiden Totenköpfe aufzuheben und die letzten Reste seines Vaters und seiner Großmutter vor neugierigen Augen zu verbergen.
Én’nish trat ihm in den Bauch, und Leesil wankte keuchend zur Seite. Die junge Elfe rief etwas in ihrer Muttersprache.
» Nâ – nein!«, stieß Wynn hervor. » Na-bithâ – das stimmt nicht!«
Osha zog beide Klingen, stand aber verwirrt da und schien nicht zu wissen, wen er angreifen oder verteidigen sollte.
Magiere ignorierte den Schmerz im Knie und stand auf, um Én’nish von hinten anzugreifen.
Eine Hand schloss sich wie eine Stahlklammer um ihren Unterarm und zog sie nach hinten. Sie schwang den Arm herum, schlug nach dem Mann, der sie festhielt, und sah kurz Urhkars Gesicht, als er sich unter dem Hieb hinwegduckte.
Er stieß das Bein in Magieres Kniebeugen, und sie ging erneut zu Boden, mit ihm auf ihr. Sofort versuchte sie, sich zu befreien, doch Urhkar drehte ihr den Arm auf den Rücken, und mit dem Gesicht nach unten lag sie auf dem Moosteppich. Der Elf blieb über sie gebeugt.
»Bleib ruhig liegen«, sagte er.
»Lass mich los!«, knurrte sie.
Er antwortete nicht einmal. Zorn stieg in Magiere auf, und Sorge verdrängte ihn nur einen Moment später.
Mit der einen Wange im Moos hielt sie nach Leesil Ausschau.
Chap sprang vor Én’nish, bellte und schnappte nach ihr. Sie wich zurück, und Wynn griff nach den Totenköpfen.
»Én’nish hat behauptet, dass du gekommen bist, um Elfen zu jagen!«, rief sie Leesil zu. »Um Trophäen zu sammeln!«
In Magieres Magengrube verkrampfte sich etwas.
Entweder verstand Leesil nicht, oder Én’nishs Lüge war ihm gleichgültig. Er nahm Gavrils Schädel, doch bei dem seiner Großmutter kam ihm Wynn zuvor. Sie legte die Hand darauf und rief Sgäile etwas auf Elfisch zu. Das einzige Wort, das Magiere verstehen konnte, lautete »Eillean«.
Leesil sank auf die Knie und griff nach dem Totenkopf seiner Großmutter in Wynns Armen.
»Hör auf!«, fuhr ihn die junge Weise an. »Bleib still sitzen, oder sie töten dich!«
Magiere versuchte erneut, sich zu befreien, aber Urhkar auf ihr war wie eine Statue aus Stein, schwer und unbeweglich.
Wynns Worte spielten für Leesil keine Roll e – ihm ging es nur um den Totenkopf. Er zerrte ihn der jungen Weisen aus den Händen und schlang die Arme um die Überreste seines Vaters und seiner Großmutter.
Sgäiles Augen waren groß, und Leesil glaubte, in seinen bernsteinfarbenen Pupillen ein Spiegelbild des eigenen Schmerzes zu erkennen.
»Eillean?«, flüsterte Sgäile und deutete auf den Elfenkopf.
Leesil nahm ihn rasch beiseite.
Eine Frau in Kniehosen und ein alter, in einen Umhang gehüllter Mann lösten sich aus der Menge und kamen mit strenger Miene näher. Chap knurrte, sprang vor und bellte, und die beiden Elfen wichen erschrocken zurück. Der Hund beschrieb einen Bogen vor den versammelten Bewohnern des Dorfes und wiederholte sein drohendes Knurren. Die Elfen konnten es kaum fassen: ein Majay-hì, der sich gegen sie wandte und einen Fremden verteidigte.
Bis auf unsicheres Flüstern hier und dort wurde es still auf der Lichtung.
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