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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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setzten sich nebeneinander, unterhielten sich jedoch nicht. Aber außer dem Inspektor und dem Vizekonsul saß ohnehin niemand im Wagen. Die zweite und dritte Klasse war voll mit Angestellten und Ladendienern, die nach Yokohama zur Arbeit fuhren, für die Reisenden der ersten Klasse war es noch zu früh.
    Asagawa döste eine Weile und – was für stahlharte Nerven! – schlief bald tief und fest, schmatzte im Schlaf sogar mit den Lippen. Fandorin wollte gar nicht mehr schlafen. Man hätte meinen können, sein Körper habe beschlossen, gänzlich auf diesen trivialen Zeitvertreib zu verzichten. Doch irgend etwas sagte dem Vizekonsul: Die Schlaflosigkeit war bald vorbei.
    Die Medizin, die ihn von diesem qualvollen Leiden befreien würde, hieß Bullcocks. Nicht, daß Fandorin jetzt an die Folter der schlaflosen Nächte dachte, er sann über etwas ganz anderes nach, doch zugleich flüsterte eine Stimme seinem erschöpften Körper zu: »Bald, bald wirst du Ruhe finden.«
    Fandorins Verstand war mit etwas Hochwichtigem beschäftigt: der Rekonstruktion der Logischen Kette.
    Die Kette war so stringent wie nur möglich.
    Also, an der Spitze der Verschwörung, deren Opfer der japanische Napoleon geworden war, stand der ehrenwerte Aldgernon Bullcocks, Agent der Regierung Ihrer Majestät Viktoria, Kaiserin von Indien und Königin von Großbritannien.
    Die Motive für die Intrige waren offenkundig.
    Die Beseitigung eines Mannes, der sich um die Balance zwischen den beiden Großmächten bemühte, die den Stillen Ozean beherrschen wollten – England und Rußland. Erstens.
    Die Machtübernahme durch die Expansionspartei, die eine mächtige Flotte brauchen würde. Und wer würde die künftigen Eroberer Koreas unterstützen? Natürlich die Seemacht Großbritannien. Zweitens.
    Bullcocks konnte mit einer großen Auszeichnung rechnen. Und ob! Dank seiner Operation wurde Japan und mit ihm der ganze Ferne Osten zu britischem Einflußgebiet. Drittens.
    Auch vom menschlichen Standpunkt aus war Bullcocks durchaus zu einem derart schmutzigen, zynischen Unternehmen fähig.
    Er betrieb Spionage und verbarg das nicht einmal sonderlich. Erstens.
    Laut O-Yumi (und wer kannte diesen Schurken besser als sie) war ihm jede Gemeinheit zuzutrauen, er würde einem erfolgreichen Rivalen sogar Mörder auf den Hals schicken oder mit der Frau abrechnen, die ihn verließ. Zweitens.
    Natürlich war kaum anzunehmen, daß er die Verschwörung gegen Okubo mit dem Segen des Saint James’s Palace organisiert hatte, aber er war ein geborener Abenteurer und äußerst ehrgeizig, für einen Erfolg war ihm jedes Mittel recht. Drittens.
    Und viertens: Laut Fürst Onokoji hatten die Verschwörer viel Geld. Wie kamen die bettelarmen Satsuma-Samurai zu viel Geld? Hätten sie etwa Suga so großzügig für seinen Dienst belohnen können? Der Agent der britischen Krone hingegen verfügte überwahrhaft unerschöpfliche Finanzquellen. Vermutlich hatte der Ehrenwerte sich ins Fäustchen gelacht, als der mondäne Schwätzer ihm von dem geschenkten Landgut erzählte. Bestimmt hatte Bullcocks selbst es gekauft und anschließend beim Kartenspiel an Suga »verloren«. Vielleicht auch nicht selbst, sondern über einen Strohmann – was machte das für einen Unterschied!
    Fandorins Deduktionen wurden durch Asagawas seliges Schnarchen unterbrochen. Er ruht sich auf seinen Lorbeeren aus, dachte Fandorin. Das Böse ist bestraft, die Gerechtigkeit hat triumphiert, die Harmonie ist wieder hergestellt. Die große Politik störte den Schlaf des Inspektors nicht. Ebensowenig wie der Alptraum, den sie zwei Stunden zuvor in der Polizeiverwaltung erlebt hatten. Bestimmt war dort schon alles in Aufregung. Oder würde es gleich sein.
    Ein Putzmann oder ein eifriger Sekretär, der vor Dienstbeginn noch ein paar Papiere durchsehen wollte, würde ins Büro des Chefs schauen und dort ein Bild vorfinden, von dem ihm ganz übel werden würde.
     
    Als der Intendant Bullcocks verraten hatte, zischte der Inspektor dem Gefangenen etwas auf Japanisch zu. Mit mahlenden Kiefern erklärte er Fandorin seine Empörung: »Er ist ein noch größerer Halunke, als ich dachte. Die Fanatiker aus Satsuma glaubten wenigstens, im Namen der Heimat zu handeln, er aber wußte genau, daß sie nur Figuren waren in einem Spiel, das ein Ausländer angezettelt hatte!«
    Suga grunzte.
    »Jetzt können wir den Hami rausnehmen«, sagte Fandorin, der sich noch nicht von seiner Erschütterung erholt hatte – er begriff nicht, warum er

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