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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Jacke ausziehen?«
    Tamba blies ein Rauchfähnchen aus.
    »Nein. Erst wirst du dich hinsetzen, zuhören und versuchen zu verstehen.«
    »Gut.«
    Fandorin setzte sich folgsam und zog ein kleines Heft aus der Tasche, bereit zum Mitschreiben.
    »Ninjutsu besteht aus drei grundlegenden Künsten: Tonjutsu – der Kunst der Verborgenheit, Taijutsu – der Kunst der Körperbeherrschung, und Bujutsu – der Waffenkunst …«
    Fandorins Bleistift glitt über das Papier, doch als Tamba lachte, begriff er, daß dieser nur die Manier eines gelehrten Lektors nachahmte.
    »Aber soweit sind wir noch lange nicht. Erst einmal mußt du sein wie ein neugeborenes Kind, das die Welt entdeckt und die Möglichkeiten des eigenen Körpers erforscht. Du mußt alles erst lernen: atmen, trinken, essen, die Funktion deiner Eingeweide kontrollieren, Arme und Beine bewegen, kriechen, stehen, laufen und fallen. Unsere Kinder unterrichten wir von der Wiege an. Wir dehnen ihre Gelenke und Muskeln. Wir schaukeln die Wiege heftig und unrhythmisch, damit das Kind lernt, seinen Schwerpunkt rasch zu verlagern. Wofür normale Kinder bestraft werden, das wird bei uns gefördert: das Nachahmen von Tierschreien, Steinewerfen, auf Bäume klettern. Du wirst nie werden wie jemand, der in einer Shinobifamilie aufgewachsen ist. Aber laß dich davon nicht abschrecken. Geschmeidigkeit der Glieder und Ausdauer sind nicht das Wichtigste.«
    »Was ist denn das Wichtigste, Sensei?« fragte Fandorin, wobei er Tamba mit der ehrerbietigsten japanischen Anrede bedachte.
    »Man muß fähig sein, eine Frage richtig zu stellen. Das ist die halbe Arbeit. Die andere Hälfte ist die Fähigkeit, die Antwort zu hören.«
    »D-das verstehe ich nicht …«
    »Der Mensch besteht aus lauter Fragen, und das Leben und die uns umgebende Welt aus Antworten auf diese Fragen. Bestimme die Reihenfolge der Fragen, die dich beschäftigen, angefangen mit den wichtigsten. Dann stimme dich darauf ein, die Antworten zu empfangen. Sie sind überall – in jedem Ereignis, in jedem Ding.«
    »Wirklich in jedem?«
    »Ja. Denn jedes Ding ist ein Teil des Göttlichen Leibs Buddhas. Nimm nur diesen Stein.« Tamba hob einen Basaltbrocken vom Boden auf und zeigte ihn seinem Schüler. »Nimm ihn in die Hand. Schau ihn aufmerksam an und vergiß dabei alles bis auf deine Frage. Sieh, wie interessant die Oberfläche des Steins beschaffen ist: all die Furchen und Höcker, die anhaftenden Schmutzbrocken, die Einsprengsel. Stell dir vor, von der Struktur und dem Äußeren dieses Steins hinge dein ganzes Leben ab. Erforsche diesen Gegenstand so lange, bis zu spürst, daß du alles über ihn weißt. Und dann stelle ihm deine Frage.«
    »Welche zum B-beispiel?« fragte Fandorin, während er neugierig den Basaltbrocken studierte.
    »Egal. Ob du etwas Bestimmtes tun oder lassen sollst. Ob du richtig lebst. Ob du leben wirst oder sterben.«
    »To be or not to be?« wiederholte Fandorin, unschlüssig, ob der Jonin bewußt Shakespeare zitierte oder ob das Zufall war. »Aber wie kann der Stein mir antworten?«
    »In seinen Konturen, seinen Mustern und den Figuren, die sie bilden, findest du ganz bestimmt eine Antwort. Ein Mensch, der auf Verstehen eingestimmt ist, wird sie wahrnehmen. Es muß nichtunbedingt ein Stein sein, es kann jede beliebige unebene Oberfläche sein oder etwas, das zufällig entsteht: Eine Rauchwolke, eine Spur vom Tee auf dem Grund einer Tasse oder vom Kaffee, den ihr Gaijin so gern trinkt.«
    »Hm, klar«, sagte Fandorin skeptisch. »So etwas habe ich auch in Rußland schon gehört. Aus dem Kaffeesatz lesen.«
     
    Die Nächte verbrachten sie und er zusammen. In Tambas Haus, in dem die oberen Zimmer nur der Tarnung dienten, das wirkliche Leben aber im Keller stattfand, hatte man ihnen ein fensterloses Zimmer zugeteilt.
    Nach einem ausgiebigen Genuß, der nichts gemein hatte mit »Feuer und Donner« oder der »Maulwurfsliebe« sagte er, den Blick auf ihr regloses Gesicht, ihre gesenkten Lider gerichtet: »Ich weiß nie, was du fühlst und denkst. Nicht einmal jetzt.«
    Sie schwieg, und er glaubte schon, sie würde nicht antworten. Doch unter ihren Wimpern blitzten Funken, und ihre roten Lippen flüsterten: »Ich kann dir nicht sagen, was ich denke. Aber wenn du willst, kann ich dir zeigen, was ich fühle.«
    »Ja, das will ich!«
    Sie senkte erneut die Lider.
    »Geh hinauf in den Flur. Dort ist es dunkel, aber kneif trotzdem noch die Augen zu, damit du nicht einmal Schatten siehst. Berühre die rechte

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