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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hatte. Die meisten Fäuste trugen keine Hemden, nur indigofarbene Hosen mit scharlachroten Gürteln an den Taillen, und manchmal rote Tücher um Hals, Stirn oder Oberarme. Diejenigen, die nicht schliefen oder rauchten, praktizierten Kampfsportübungen. Hackworth ritt langsam durch ihre Mitte, und sie taten so, als würden sie ihn gar nicht sehen, außer einem Mann, der mit einem Messer aus einem Haus gerannt kam,
»Sha! Sha!«
rief und von drei seiner Kameraden überwältigt werden mußte.
    Auf den vierzig Meilen bis Suzhou änderte sich nichts, davon abgesehen, daß die Bäche zu Flüssen und die Teiche zu Seen wurden. Die Lager der Fäuste wurden größer und lagen enger beisammen. Wenn sich ab und an eine Brise in der stickigen Luft regte, konnte er das klamme, metallische Aroma von Wasser riechen und wußte, er war nicht mehr weit von dem großen See Tai Wu entfernt, oder Taifu, wie die Shanghainesen ihn aussprachen. Eine Graukeil-Kuppel ragte in der Ferne auf und warf einen Schattenfilm vor einer Gruppe hoher Gebäude, und Hackworth wußte, das mußte Suzhou sein, heute eine Festung des Himmlischen Königreichs, das sich in seinen Abwehrschirm Hüllte wie eine Kurtisane in ihren transparenten Schleier aus Suzhouer Seide.
    Als er sich dem Ufer des großen Sees näherte, fand er einen Weg zu einer bedeutenden Verkehrsader, die nach Süden, nach Hang-zhou, führte. Er ließ Kidnapper nach Norden traben. An den Hauptstraßen von Suzhou hatten sich wie Fühler Neubausiedlungen gebildet, und als Hackworth näher kam, sah er Einkaufszentren und Franchise-Geschäfte, die entweder zerstört, verlassen oder von Flüchtlingen in Besitz genommen worden waren. Die meisten Etablissements waren auf Fernfahrer zugeschnitten: jede Menge Motels, Casinos, Teehäuser und Imbißrestaurants. Aber heute fuhren keine Lastwagen mehr auf der Straße, und Hackworth ritt auf dem Mittelstreifen, schwitzte stark in seiner dunklen Kleidung und trank ab und zu aus einer gekühlten Flasche in Kidnappers Handschuhfach.
    Ein Schild von McDonald's lag quer über der Straße wie eine gigantische Mautschranke; etwas war durch die Säule gebrannt, die es in die Luft gereckt hatte. Zwei junge Männer standen davor, rauchten Zigaretten und warteten auf ihn, wie Hackworth schnell klarwurde. Als Hackworth näher kam, drückten sie ihre Zigaretten aus, traten vor und verbeugten sich. Hackworth hob den Finger an seine Melone. Einer nahm Kidnappers Zügel, im Falle eines Roboterpferdes eine rein zeremonielle Geste, der andere forderte Hackworth zum Absteigen auf. Beide Männer trugen schwere, aber flexible Overalls, in deren Stoff Kabel und Leitungen verliefen: die innere Schicht von Kampfanzügen. Sie konnten sich in gefechtsbereite Hopliten verwandeln, indem sie die festeren und schwereren AußenHüllen anlegten, die wahrscheinlich irgendwo in der Nähe bereitlagen. Die scharlachroten Stirnbänder wiesen sie als Fäuste aus. Hackworth war einer der wenigen Angehörigen der Äußeren Stämme, die sich je einem Mitglied der Fäuste gegenübersahen, das nicht mit einer Waffe auf sie zugerannt kam und dabei »Töten! Töten!« brüllte, und er fand es interessant, sie einmal in gemäßigterer Stimmung zu sehen. Sie entpuppten sich als würdevoll, förmlich und beherrscht wie Soldaten, ohne das höhnische Kichern, das unter küstenrepublikanischen Jungs in ihrem Alter so verbreitet war.
    Hackworth ging über den Parkplatz zu dem McDonald's, während ihm einer der Soldaten in respektvoller Entfernung folgte. Ein anderer Soldat machte ihm die Tür auf, und Hackworth seufzte erleichtert, als kalte, trockene Luft ihm ins Gesicht wehte und den muffigen Geruch aus dem Stoff seiner Kleidung vertrieb. Das Restaurant war kaum geplündert worden. Er konnte einen kalten, fast klinisch sauberen Fettgeruch von hinter dem Tresen wahrnehmen, wo Friteusen umgekippt waren, deren Inhalt langsam wie Schnee gerann. Einen Großteil davon hatten Plünderer aufgekratzt; Hackworth konnte die parallelen Spuren von Frauenfingern sehen. Das Restaurant wurde von einem Motiv der Seidenstraße geschmückt, durchsichtige Mediatronpaneele bildeten herrliche Ansichten zwischen hier und dem alten Endpunkt der Straße in Cadiz ab.
    Dr. X saß in einer Ecknische, und sein Gesicht strahlte im kühlen, UV-gefilterten Sonnenlicht. Er trug die Mütze eines Mandarins mit goldgesticktem Drachen, dazu ein prachtvolles Brokatgewand. Das Gewand war am Hals offen und hatte kurze Ärmel, so daß Hackworth

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