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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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arbeitete ich an dem Problem, vierundzwanzig Stunden täglich.
    Doch bevor ich die Aufgabe beenden konnte, wurde ich von meinen Vorgesetzten bei der Protokollwahrung herausgeholt. Ich war fast fertig. Aber noch nicht ganz.«
    »Ihre Vorgesetzten hatten unseren Plan durchschaut?«
    »Entweder sie wissen gar nichts, oder sie wissen alles und schützen nur Unwissenheit vor«, sagte Hackworth.
    »Aber gewiß haben Sie ihnen doch inzwischen alles erzählt«, sagte Dr. X kaum hörbar.
    »Wenn ich diese Frage beantworten würde, hätten Sie keinen Grund mehr, mich nicht zu töten«, sagte Hackworth.
    Dr. X nickte, aber weniger, um Hackworth recht zu geben, sondern mehr in Anerkennung seiner bewundernswert zynischen Denkweise - als hätte Hackworth nach einer Reihe scheinbar un-konzentrierter Züge mit einem Mal eine Menge Steine auf einem Go-Brett umgelegt.
    »Es gibt Leute, die dieses Vorgehen begrüßen würden - wegen dem, was mit den Mädchen passiert ist«, sagte Dr. X.
    Hackworth war so verblüfft, als er das hörte, daß ihm einen Moment schwindlig wurde und er vor Verlegenheit nicht sprechen konnte. »Haben sich die Fibeln als nützlich erwiesen?« sagte er schließlich und bemühte sich, nicht zu überschwenglich zu klingen.
    Dr. X grinste einen Augenblick breit. Dann sank die Gefühlsregung wieder unter die Oberfläche. »Für irgend jemanden müssen sie nützlich gewesen sein«, sagte er. »Meiner Meinung nach haben wir einen Fehler gemacht, die Mädchen zu retten.«
    »Wie kann dieser Akt der Humanität ein Fehler gewesen sein?«
    Dr. X überlegte. »Man sollte vielleicht zutreffender sagen, daß es tugendhaft war, sie zu retten, aber ein Fehler, zu glauben, daß sie angemessen erzogen werden könnten. Uns fehlten die Mittel, sie individuell zu erziehen. Das hätte uns der Meister sagen können, wenn wir auf seine Worte gehört hätten.«
    »Einige dieser Mädchen werden eines Tages beschließen, in die Fußstapfen des Meisters zu treten«, sagte Hackworth, »und dann wird sich zeigen, wie weise Ihre Entscheidung gewesen ist.«
    Das schien für Dr. X ein wahrhaft neuer Gedanke zu sein. Sein Blick fiel wieder auf das Fenster. Hackworth spürte, daß das Thema der Mädchen und der Fibeln damit abgeschlossen war.
    »Ich will ganz offen sprechen«, sagte Dr. X, nachdem er eine Zeitlang nachdenklich Tee geschlürft hatte, »und Sie werden nicht glauben, daß es sich so verhält, weil in den Äußeren Stämmen die fixe Idee herrscht, daß wir niemals geradeheraus sprechen. Aber mit der Zeit werden Sie vielleicht begreifen, daß meine Worte die reine Wahrheit waren.
    Die Saat ist fast vollendet. Als Sie fort waren, wurde die Entwicklung drastisch gebremst - mehr, als wir erwartet hatten. Wir glaubten, nach zehn Jahren hätten die Trommler Ihr Wissen absorbiert und könnten die Arbeit ohne Sie fortführen. Aber es ist etwas in Ihrem Geist, das Sie sich während Ihres jahrelangen Studiums angeeignet haben, das die Trommler aber, falls sie es je besaßen, aufgegeben haben und nicht wiedererlangen können, es sei denn, sie kämen aus ihrer Dunkelheit und würden ihr Leben wieder im Licht leben.
    Der Krieg gegen die Küstenrepublik ist in der entscheidenden Phase. Wir bitten Sie jetzt um Ihre Hilfe.«
    »Ich muß gestehen, daß es praktisch undenkbar für mich ist, Ihnen in dieser Situation zu helfen«, sagte Hackworth, »es sei -denn, es würde den Interessen meines Stammes dienen, was mir im Augenblick unwahrscheinlich zu sein scheint.«
    »Wir brauchen Ihre Hilfe, um die Konstruktion der Saat zu vollenden«, sagte Dr. X unverdrossen.
    Nur jahrzentelanges Training in emotionaler Zurückhaltung hinderte Hackworth daran, laut aufzulachen. »Sir! Sie sind ein Mann von Welt und Gelehrter. Ihnen ist doch gewiß die Position der Regierung Ihrer Majestät, ja, des Gemeinschaftlichen Ökonomischen Protokolls überhaupt, zur Saat-Technologie bekannt.«
    Dr. X hob eine Hand ein paar Zentimeter von der Tischplatte, Handfläche nach unten, und harkte einmal mit den Fingern durch die Luft. Hackworth kannte die Geste, mit der wohlhabende Chinesen Bettler verscheuchten oder bei Versammlungen Leuten klarmachten, daß sie Unsinn redeten. »Sie irren sich«, sagte er. »Sie verstehen nicht. Sie betrachten die Saat aus der westlichen Warte. Ihre Kulturen - und die der Küstenrepublik - sind schlecht organisiert. Es gibt keinen Respekt vor der Ordnung, keine Ehrerbietung gegenüber der Macht. Ordnung muß von oben aufgezwungen werden, damit

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