Diana - sTdH 5
Straße
drangen keine Laute herauf, ein sicheres Zeichen dafür, daß der Nebel wirklich
sehr dick war. Sally kam herein, zog die Vorhänge auf, ließ die Jalousien
hinauf, lehnte sich hinaus und öffnete die Fensterläden, so daß sich das
Schlafzimmer mit grauem Licht füllte.
»Wie spät
ist es?« murmelte Lady Godolphin.
»Zwölf Uhr
mittags, Mylady.«
»Zu früh
zum Aufstehen«, befand Lady Godolphin. »Ich habe dich nicht gerufen.«
»Zwei
Herren warten schon seit einer Stunde unten auf Sie, Mylady.«
»Ach, du
lieber Gott. Wer?«
»Hochwürden
Charles Armitage und Mr. Radford.«
»Sie
sollten wissen, daß man zu einer so unmöglichen Zeit keine Besuche macht.
Follikel!« schimpfte Lady Godolphin. »Ich stehe besser auf. Besteht keine
Hoffnung, daß sie sich woandershin begeben?«
»Nein,
Mylady. Sie haben gesagt, daß es ganz dringend sei, und ich habe gesagt, daß
man Sie nicht wecken darf. Aber als sie immer mehr drängten, hat Mr. Mice
gesagt, ich soll Sie wecken.«
»Also gut«,
stöhnte Lady Godolphin. »Ich wünschte wirklich, Charles Armitage wäre einer von
diesen ruhigen geistlichen Pfarrern. Jedesmal wenn er kommt, wird es
dramatisch.«
Lady
Godolphin brauchte eine Stunde, bis sie zurechtgemacht war und ihr Negligé
angelegt hatte, so daß sie sich in der Lage fühlte, mit den Besuchern zu
sprechen.
»Nun,
Charles? Mr. Radford?« fragte sie, als sich die Männer erhoben, um sie zu
begrüßen. »Wo fehlt es?«
Der Pfarrer
und der Squire warteten, bis Lady Godolphin sich gesetzt hatte, bevor
Hochwürden zu sprechen begann.
»Wann kam Diana bei Ihnen an?« fragte er.
Lady
Godolphins Augen schauten überall hin, nur nicht auf den Pfarrer.
»Ich kann
mich nicht mehr genau erinnern«, sagte sie schließlich.
»Dann
wollen wir Ihre Dienerschaft fragen, Madam.«
»Nein, tun Sie das nicht«, sagte
Lady Godolphin resigniert. »Ich werde Ihnen sagen, was geschehen ist.«
Die beiden
Männer hörten ihr zu, der Pfarrer immer zorniger werdend und der kleine Squire
immer sorgenvoller.
»Es ist
alles Ihre eigene Schuld, Charles«, sagte Lady Godolphin, als sie die
Geschichte von Dianas Abenteuer mit Lord Dantrey schließlich beendet hatte.
»Sie haben sie ermutigt, sich als Mann zu kleiden. Aber wir wollen die ganze
Geschichte jetzt vergessen. Wie gesagt, bin ich persönlich zu Dantrey gegangen
und er hat versprochen, nicht über die Sache zu reden. Diana ist immer noch
eine intakte Jungfrau. Sie hat mir erzählt, daß es zwischen ihnen nichts als
einen Kuß gegeben hat, und das auch nur, weil Dantrey verständlicherweise keine
hohe Meinung von ihrer Moral hatte. Nicht nur das, es scheint so, als ob ein
paar von den alten Schurken, wie zum Beispiel Guy Wentwater, schlimme Gerüchte
über Ihre Mädchen verbreiten. Dantrey ist Wentwater im Ausland begegnet. Sie
sehen also, Sie können sich wieder beruhigen. Wenn ich auch nur einen
Augenblick lang geglaubt hätte, daß der gute Ruf des Mädchens zerstört ist,
hätte ich schnellstens nach Ihnen geschickt. Diana hat sich sehr anständig
benommen.«
»Das ist es
nicht, Madam«, sagte Squire Radford und strich nervös über seine altmodische
Beutelperücke. »Diana muß diesen Dantrey heiraten. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Aber
warum?«
»Weil sie
offensichtlich erkannt worden ist. Mr. Armitage hat einen anonymen Brief
bekommen.« Nachdem er Lady Godolphin den Brief gezeigt hatte, fuhr der Squire
fort: »Was, wenn der Schreiber dieses Briefes auspackt, wenn die Saison auf
ihrem Höhepunkt ist? Dann würde jeder sagen, daß sie Dantrey hätte heiraten
müssen.«
»Nun, das
könnten sie in jedem Fall sagen.«
»Aber dann
würde es nichts ausmachen«, entgegnete Squire Radford. »Keiner achtet darauf,
was über verheiratete Frauen
geredet wird. Aber ein Skandal kann die Hoffnungen von unverheirateten Mädchen
zugrunde richten.«
»Follikel!«
rief Lady Godolphin erbittert. »Ich habe Mary Wollstonecraft und ihre
Frauenrechte immer für einen Haufen Unsinn gehalten. Aber jetzt! Hören Sie mir
gut zu, Charles Armitage. Ist sie nicht ungerecht, unsere Welt? Ein Mann kann
tun, was ihm gefällt. Er kann trinken und spielen und sich eine ganze Menge von
Geliebten halten, und man beurteilt ihn als tollen Hecht. Aber eine Dame muß
sich herausputzen und einfältig lächeln und vor Langeweile sterben, damit sie
Komma fault ist.«
»Comme il
faut«, sagte der Squire. »Ihre Nerven sind überreizt, liebe Lady. Ihr schönes
Geschlecht wurde dazu
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