Diaspora
nötig war. Wie Orlando es ausdrückte – der nach einer dreidimensionalen Analogie suchte, nachdem Yatima sich in gruppentheoretischen und topologischen Begriffen ausgelassen hatte: Es war, als würde man auf dem Geländer einer Wendeltreppe in das Wurmloch des Partikels hinabgleiten. Nach einer vollständigen Umrundung stand man gelegentlich kopf, weil das Geländer in sich verdreht war, so daß man eine weitere Umrundung benötigte, bis man wieder seine anfängliche Orientierung eingenommen hatte. Und manchmal hatte sich nach einer vollen Umdrehung nichts verändert.
Während die Nanomaschinen dem Apparat den letzten Schliff gaben und die Neutronenquelle und die Detektoren mit der Datenleitung der Bucht verbanden, überlegte Yatima, ob hie Kontakt mit Blanca aufnehmen sollte. Doch als sie sich ein einziges Mal begegnet waren, hatte der Voltaire-Klon nicht das geringste Interesse an den Ideen seines toten Fomalhaut-Klons gezeigt. Blanca hatte es überall abgelehnt, mit der Zeitrate eines Körperlichen zu leben – was in der gesamten Diaspora nach der Ankunft zum Standard geworden war. Infolgedessen hatte hie sich stark isoliert. Sinclair wäre vermutlich sehr daran interessiert, das Experiment mitzuerleben, aber er würde zweiundachtzig Jahre warten müssen, denn er hatte sich überhaupt nicht an der Diaspora beteiligt.
Yatima gestikulierte vor dem Schalter an der Seite der Neutronenquelle. Es war nur ein Landschaftsobjekt, das an ihre Sicht der Maschine angepaßt war, doch wenn er betätigt wurde, erhielt Lilliput das Signal, das erste Neutron auf den Weg zu bringen. »Darf ich dir die Ehre überlassen?«
Orlando zögerte. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich mir eigentlich erhoffe. Die exotische Physik der Transformer … oder den Unterhaltungswert, wenn du dich herauszuwinden versuchst, falls du dich geirrt hast.«
Yatima lächelte. »Das Wunderbare an der Hoffnung ist, daß sie nicht die geringste Auswirkung auf irgend etwas hat. Schalt einfach ein.«
Orlando trat vor und tat es. Der Anzeigeschirm nebenan – ebenfalls ein Landschaftsobjekt – füllte sich sofort mit Symbolen, die in unlesbarer Geschwindigkeit vorbeiscrollten. Yatima hatte ein kurzes Muster erwartet, das nach höchstens fünf oder sechs Rotationen wiederkehrte – oder nach nur zweien, falls die Neutronen völlig normal waren. Ein paar Segmente hätten genügt, um die Theorie zu beweisen, doch vielleicht hatten die Transformer gar keine Kontrolle über die Gesamtlänge gehabt.
»Ist das ein Fehler in der Maschine oder ein überwältigender Erfolg?« fragte Orlando.
»Ein überwältigender Erfolg, hoffe ich.«
Yatima ließ die Aufzeichnung per Gestalt-Anweisung zurückspulen. Der Beginn der Datenreihe zeigte, wie das Neutron mit jeder Rotation seine Phase verschob:
-++-+-+++-+-+-++++-+-+-+-+ + + + + …
Unmittelbar darunter folgte die Interpretation:
FbFFbbFFFbbbFFEFbbbb …
Orlando las vor: »Fermion, Boson, Fermion, Fermion, Boson, Boson …«
»Ich schwöre, daß es kein Trick ist«, sagte Yatima.
»Ich glaube dir.« Die Zahlenreihe ging bis 126, dann hörte das Muster auf und wurde von etwas abgelöst, das nicht ohne weiteres zu entschlüsseln war. Orlando wirkte beinahe ängstlich. »Es ist eine Botschaft. Sie haben uns eine Botschaft hinterlassen.«
»Das wissen wir noch nicht.«
»Es könnte das Äquivalent ihrer kompletten Polis-Bibliothek sein. In ein einziges Wurmloch gefüttert, wie Knoten an einer Schnur.« Jetzt wankte er unsicher, und Yatima fragte sich, ob seine Verkörperungssoftware zuließ, daß er vor Schock ohnmächtig wurde.
»Es könnte auch nur der Beweis für die Künstlichkeit sein. Eine unwahrscheinliche Sequenz, damit niemand es für ein natürliches Phänomen hält und ihre Physik entwürdigt, indem er eine derartige Erklärung versucht. Keine voreiligen Schlußfolgerungen!«
Orlando nickte und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Er gab dem Bildschirm ein Zeichen, zu den letzten Daten vorzuspulen. Es war immer noch ein unüberschaubarer Strom, aber er war sichtlich langsamer geworden. Jeder Test für eine bestimmte Anzahl von Drehungen mußte mehrere Male durchgeführt werden, um eine zuverlässige Statistik zu erhalten – und nach einer Milliarde Drehungen und einer Messung der Interferenz konnte man das Neutron nicht einfach noch einmal drehen, um das Ergebnis Nummer eine Milliarde und eins zu erhalten, sondern mußte noch einmal ganz von vorne anfangen.
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