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Dich schlafen sehen

Dich schlafen sehen

Titel: Dich schlafen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brasme
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Unfall, habe ich Recht? Du hast ganz genau gewusst, dass du nicht laufen musst, wenn du einen Asthmaanfall bekommst, und dass du notfalls stehen bleiben und verschnaufen kannst. Aber du hast es nicht getan, du bist weitergelaufen, weil du ganz genau gewusst hast, wie das enden konnte. Ich weiß alles. Ich verstehe dich.«
    Ich schwieg, wie vor den Kopf geschlagen, hilflos. Sie hatte in mein Inneres geblickt, viel tiefer als die anderen, und verstanden. Ich war erschüttert. Ich senkte den Blick, um nicht die grausame Wahrheit in Sarahs Augen zu sehen.
    Sie legte ihre Hände auf meine und verharrte eine Zeit lang stumm, während ich mit den Tränen kämpfte, dann fuhr sie fort: »Du bist gerettet, du hast noch mal Glück gehabt. Und du sollst wissen, dass du von heute an auf mich zählen kannst. Ich möchte dir helfen. Ich möchte, dass du meine Freundin wirst.«
    Aus diesen Worten meinte ich herauszuhören: »Du wirst nie mehr allein sein, Charlène.«

Atmen
    Mit Ausnahme von Sarah hatte niemand aus meiner Umgebung das Geringste geahnt. Kein Mensch, nicht einmal meine Eltern begriffen, dass es kein Unfall gewesen war, sondern dass ich den Tod hatte kennen lernen wollen, dass ich hatte ersticken wollen, kurz, dass es ein Selbstmordversuch gewesen war.
    Als die Schiebetüren der Unfallstation sich auftaten und ich in die Welt zurückkehrte, hatte ich nur den einen Gedanken: Ich musste das Leben neu entdecken, wieder geboren werden,
atmen
. Ich war bereit, ernsthaft zu existieren. Zu leben. Und dann hatte ich von nun an Sarah. Ihre Gegenwart war wie eine neue Kraft und erinnerte mich daran, dass ich der Welt nicht mehr allein gegenüberstand.
    Gleich beim Betreten des Collège spürte ich, dass alle Augen auf mich gerichtet waren. Man lächelte mich teilnahmsvoll an, sprach mir Mut zu. Binnen vier Tagen, die ich im Krankenhaus gelegen hatte, war eine andere Charlène geboren worden. Das Glück existierte noch. Es war da, bei mir, bei Sarah. Den Tod brauchte ich nur als Schutz. Er war jetzt nur noch eine Versicherung für den Fall, dass wieder etwas außer Kontrolle geriet, eine Art beruhigender Notausgang.
    Sarah war meine Sicherheit, mein Schutz, meine Hoffnung. Ich wusste sie an meiner Seite, wusste, dass sie für mich da sein würde, falls eines Tages wieder alles schief gehen sollte. Schlicht und einfach deshalb, weil sie mir ihre Freundschaft zugesichert hatte.
    Innerhalb weniger Tage wurde sie zu meinem täglichen Quantum Glück und meinem Sieg über das Leben. Wenn ich morgens aufstand, konnte ich es kaum erwarten, sie vor den Toren des Chopin wieder zu sehen. Ich zitterte, wenn ich sie endlich kommen sah, und flog fröhlich in ihre Arme. Eine unbändige Freude erfüllte mich, und mir war alles egal, solange sie nur da war und mit ihrer Gegenwart die alten Ängste vertrieb, die dann und wann wieder hochkamen.
    An einem der ersten Ferientage im Februar lud sie mich zu sich nach Hause ein. Meine Mutter setzte mich vor dem Haus im 12. Arrondissment ab. Sarah wohnte in einer kleinen Wohnung, in der große Unordnung herrschte. Die spärliche Einrichtung und das Licht, das den Hauptraum durchflutete, ließen sie ungewöhnlich hell erscheinen. Eine große Glastür ging auf die Stadt hinaus; die kahlen Äste großer Bäume streiften den Balkon, und die Sonnenstrahlen leckten an den letzten glitzernden Schneeresten. Ich sehe noch die Wände vor mir, so weiß wie die im Krankenhaus, die alte Küche mit der glänzenden Holzverkleidung und den roten Stoffbezügen, das Esszimmer, leer bis auf ein Sofa, einen Fernseher, der auf dem nackten Fußboden stand, und verstaubte, chinesisch angehauchte kleine Möbelstücke vor dem Fenster, das dunkelblau geflieste Badezimmer mit den vielen Parfümfläschchen und Schminkutensilien, die wahllos auf dem Rand des Keramikwaschbeckens standen. Und in der Luft hing ein schwerer Geruch von Räucherstäbchen, der schwindlig machte, wenn man ihn zu lange einatmete.
    In Sarahs Wohnung herrschte eine merkwürdige Atmosphäre. In dem mit Licht und Leere erfüllten Zimmer war es ganz still; die Stunden vergingen, doch die Zeit existierte nicht mehr. Dieses Gefühl der Ruhe, dieser nicht fassbare Schwindel überkamen mich jedes Mal, wenn ich den Fuß in diese Wohnung setzte, die ich nie mehr vergessen sollte.
    Wir verbrachten den Nachmittag zusammen, und ich kann mich nicht erinnern, dass ich in meinem Leben jemals so viel gelacht hätte. Wir waren in den Park gegangen, der gleich um die Ecke lag;

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