Dich schlafen sehen
Dutzend Männer mit Krawatten und Aktenkoffern verrückt machte. Und wenn es ihre Zeit erlaubte, wollte sie eventuell sogar in die Politik einsteigen. Jeder wusste, dass sie das Zeug zur technokratischen Demagogin hatte, und auf jeden Fall war sie dazu geboren, Macht auszuüben, zu führen, sich durchzusetzen. Und dann, als sei es überhaupt keine Frage, dass sie schon mit dreißig ein Vermögen gemacht hatte, wollte sie sich in der Camargue einen alten Bauernhof kaufen und Pferde züchten, Matthieu heiraten, ihn an der kurzen Leine halten und sich von ihm ein oder zwei Kinder machen lassen. Mit hundert Jahren oder so gedachte sie dann eventuell zu sterben.
Und alle hörten ihr zu, und wir wussten, dass es genauso kommen würde, wie sie es beschlossen hatte, denn ein so frühreifes Mädchen konnte nur Erfolg haben.
Dann begannen alle zu tanzen, Sarah als Erste. Sie trug ein anthrazitfarbenes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte; der Stoff bedeckte ihre schlanke Gestalt wie ein leichter, fließender Schleier. Wenn sie sich auf der Tanzfläche im Salon im grauen Licht der Scheinwerfer bewegte, hätte man meinen können, der Stoff und ihre Haut seien eins. Das wallende Kleid schien sie kaum zu berühren und zitterte mit ihr bei jeder Bewegung. Sie trug das Haar offen, und ihre dichten roten Locken hingen in wilden, ungleichmäßigen Strähnen herab und streichelten ihre Schultern. Sie tanzte ausgelassen zu den Rhythmen der Musik, ohne müde zu werden.
Da ich mich zu Tode langweilte und unter all diesen Leuten anscheinend sowieso unsichtbar geworden war, sagte ich mir, dass ich von Sarah und den anderen vielleicht endlich wahrgenommen wurde, wenn ich ein Glas nach dem anderen leerte und mich betrank. Ich soff wie ein Loch, ohne es richtig zu merken. Im Übrigen weiß ich nicht mehr, was genau passierte. Gläser mit Weißwein, Kirschlikör, Bordeaux und Picon zogen vorüber, und ich genoss es, die Selbstkontrolle zu verlieren. Ich glitt unaufhaltsam in einen Zustand unbeschwerten Glücks. Ich wagte es, mich über das Tabu hinwegzusetzen, und auf den ersten Blick klappte es. Nichts war mehr wichtig, ich setzte mein Experiment fort. Ich trank und wurde vergnügter, also trank ich noch mehr. Und plötzlich sah mich Sarah.
Zusammen mit den Mädchen gingen wir auf unser Zimmer im Obergeschoss. Ich brachte sie zum Lachen, und das gefiel mir. Vielleicht machten sie sich über mich und meinen Zustand lustig, über mich, die ich ihnen so verklemmt vorgekommen sein musste. Nur Sarah lachte nicht. Sie befahl mir, aufzuhören.
»Lass das, Charlie. Das ist nicht mehr lustig.«
Aber ich konnte nicht mehr zurück. Dieses Mal zog ich die Blicke der anderen Mädchen auf mich. Es bereitete mir Vergnügen, Sarah eifersüchtig zu machen, ihr dieses Fest zu verderben, das ihres sein sollte. Ich wurde ihr gefährlich, und das machte mir wahnsinnig Spaß. Ich spielte, und ich war gut. Ich sah die anderen meinetwegen lachen, also setzte ich noch einen drauf. Noch ein Glas, um zu sehen...
Ich hakte mich bei Laetitia unter, und unter lautem Gelächter gingen wir wieder in die Küche hinunter. Sarah ging wütend voran. Normalerweise hätte ich es nie gewagt, sie so zu provozieren. Aber ich war nicht mehr ganz ich selbst.
Und dann trank ich einen Schluck zu viel. Sie riss mir so brutal die Bierflasche aus der Hand, dass sie zu Boden fiel und auf den Fliesen zerbrach. Ich kam kaum dazu, die Scherben zu meinen Füßen zu betrachten, da spürte ich ihre Hand mit solcher Wucht gegen meine Wange klatschen, dass ich stürzte. Ein bedrückendes, quälend langes Schweigen folgte auf die Ohrfeige. Ich sah zu ihr auf, Tränen in den Augen. Sie stand vor mir, hochmütig, Furcht erregend. Sie sah mich an, als wollte sie mich umbringen. Ich war nur noch ein armseliges Häuflein Elend, schämte mich und bat sie stumm um Verzeihung. Die Zeit stand still, niemand rührte sich. Dann packte sie mich am Arm und stieß mich ohne ein Wort in die Abstellkammer, als wäre das die normalste Sache von der Welt. Ich war ihr willenlos ausgeliefert. Ich schrie nicht, um mich zu wehren. Ich blieb am Boden, und die Tränen brannten so heftig in meinen Augen, dass ich sie schließen musste. Sie tat, was sie tun musste, und ich versuchte nicht, sie daran zu hindern. Die Schläge kühlten nur ihren Zorn, sie wusste, dass sie mir nichts anhaben konnte, denn ich verzehrte mich vor Kummer und Scham.
Sie schüttelte mich heftig, wie um mich zu wecken. Sie behandelte
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