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Dich schlafen sehen

Dich schlafen sehen

Titel: Dich schlafen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brasme
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mich äußerst brutal. Ich spürte ihren Atem. Sie tat mir weh, aber das war nicht schlimm, ich wusste ganz genau, dass ich seit Jahren auf diesen Augenblick gewartet hatte. Ich genoss jeden Schlag, jede Demütigung, nicht als Züchtigung, sondern wie einen Sieg, wie einen Erfolg. Wir trieben das Spiel bis zum Äußersten.
    Sarahs Schreie drangen dumpf an meine Ohren. Kaputt, wie ich war, nahm ich nur den Klang ihrer Stimme wahr, ohne die Worte zu verstehen, die sie mir im Takt ihrer Schläge ins Gesicht schleuderte. »Du bist erbärmlich, Charlène... Wie steh ich jetzt da?... Du übernimmst einfach keine Verantwortung für dich selbst... Ich habe genug von deinem Schwachsinn... Du kotzt mich an...« Mehr konnte ich in meiner Benommenheit nicht verstehen.
    Ich ließ mich in die Kammer sperren. Sie ließ mich liegen, allein in diesem dunklen und kalten Kabuff. Ich sackte in mich zusammen und legte mein Gesicht auf die eisigen Fliesen. Ich hielt den Atem an, schloss die Augen. Ich hörte Laetitias Stimme durch die Tür: »Charlène, lass mich rein! Charlène! Wir müssen miteinander reden, los, mach auf!«
    Nach ein paar Minuten ging auch sie. Um Mitternacht hörte ich die zwölf Schläge aus dem Salon, alle amüsierten sich. Ich verbrachte die Silvesternacht in dieser Vorratskammer, das Gesicht im Staub, benommen und verwirrt. Ich dachte nichts mehr, ich wartete. Drei Stunden blieb ich in der Kammer. Als ich endlich aufstand, war die Party noch im Gang. Ich bemerkte etwas Blut auf dem Fußboden und meiner Kleidung; Sarah musste mich unabsichtlich verletzt haben, als sie mich schlug. Geräuschlos öffnete ich die Tür und ging. Ich verdrückte mich heimlich aufs Zimmer und legte mich hin. Niemand sah mich.
    Am nächsten Morgen weckte mich das Tageslicht. Ich war mir nicht sicher, ob ich träumte. Ich hatte einen dicken Kopf und einen trockenen Mund. Ich spürte noch den herben Geschmack von Blut auf den Lippen. Ich fühlte mich schmutzig. Ein dumpfes, unablässiges Pochen ließ meinen Schädel vibrieren. Das Erste, woran ich dachte, war Sarah. Ich erinnerte mich an den Albtraum, der mich die ganze Nacht gequält hatte. Ich hatte von einem erbitterten Kampf zwischen ihr und mir geträumt. Sie hatte nicht einmal versucht, mich zu schlagen, während ich, von einer unsäglichen Wut gepackt, verbissen versuchte, sie zu töten. Aber meine Schläge trafen sie nicht. Meine Hände berührten nie ihre Haut. Ich wollte schreien: Meine Stimme versagte, alles in mir krampfte sich zusammen. Und dann, in einem letzten Wutanfall, schlug ich die Augen auf und kam zu mir. Beim Aufwachen hatte ich das Gefühl zu ersticken, so presste mich die Wut zusammen, die mich im Schlaf gepeinigt hatte.
    Ich sah mich um: Im Zimmer war es ruhig. Die Mädchen schliefen noch, ihr Atmen war kaum zu hören. Ich mochte die morgendliche Stille, doch ich fühlte mich nicht wohl. Ich stand auf und atmete tief durch, spürte die Luft in meinen Lungen. Ich ging zu Laetitias Bett und weckte sie sanft, indem ich so lange ihren Namen flüsterte, bis sie die Augen öffnete.
    »Charlène?... Was ist los? Wie spät ist es?«
    »Keine Panik. Alles in Ordnung. Es ist noch früh. Wieso liegt Sarah nicht in ihrem Bett? Weißt du, wo sie schläft?«
    »Im Zimmer ihrer Mutter. Sie hat gesagt, dass sie heute Morgen nicht neben dir aufwachen will.«
    »Danke. Das war alles, du kannst jetzt weiterschlafen.«
    Ich verließ das Zimmer und schlich über den Flur. Das Chalet lag wie verlassen da, niemand war auf, ich war allein. Ich ging zu Martines Zimmer und öffnete ganz vorsichtig die Tür, um keinen Lärm zu machen. Langsam lenkte ich meine Schritte zu Sarahs Bett.
    Ich kauerte mich nieder und sah sie eine Weile an. Selbst im Schlaf hatte sie noch diesen verächtlichen Gesichtsausdruck, kalt wie Marmor. Selbst im Schlaf schien sie alles zu kontrollieren, selbst in diesem Zustand machte sie mir Angst. Einen Augenblick lang spürte ich das Verlangen, diese friedliche Stille zu stören, sie aus ihren Träumen zu reißen, die Ruhe ihres Schlafs mit einem Schrei zunichte zu machen. Einen Augenblick lang spürte ich das Verlangen, sie tot vor mir zu sehen.
    Und dann hörte ich auf dem Flur ein Geräusch. Also ging ich weg.
    Als ich wieder nach Hause kam, wünschte ich meinen Eltern nur flüchtig ein frohes neues Jahr und verschwand in meinem Zimmer, wie ich es als Kind immer getan hatte. Ich schloss die Läden, damit es im Zimmer dunkel wurde. Allein im Dunkeln fühlte ich mich

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