Dicke Moepse
Augen zusammenkneift. Ich fühle mich angegriffen und beeile mich, mein Kommen für den Abend anzukündigen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du heute hier auftauchst«, kommt mir Andreas zuvor.
»Wie meinst du das denn?«, frage ich perplex. Eigentlich wollte ich Andreas doch unterstützen. Mit einer solchen Abreibung habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Ob er doch etwas von meinem Telefongespräch mitbekommen hat?
»Es wurde ja schon länger gemunkelt, dass zwischen dir und René etwas läuft!«, faucht er mich an.
»Aber …«, versuche ich einzugreifen.
»Als ich dann den Betrug mit den Konten bemerkt habe, ist für mich wirklich eine Welt zusammengebrochen, Rosi. Klar, wir hatten in letzter Zeit ein paar Unstimmigkeiten, aber …«
»Moment, du denkst doch nicht etwa, dass ich mit dem Typen unter einer Decke stecke?« Ich bin entgeistert. Immerhin befinden wir uns alle gerade in einer Notlage. Da gibt es nichts Schlimmeres als falsche Anschuldigungen.
»Du denkst doch nicht etwa, dass ich und René gemeinsame Sache gemacht haben? Ich bin doch nicht die Komplizin eines Verbrechers! Ich habe mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun, und das werde ich auch der Polizei erzählen. Und mit wem ich meine Decke teile, geht dich gar nichts an. Immerhin scheinst du ja auch keine Hemmungen zu haben, mit meiner Mitbewohnerin zu schlafen. Aber sei ganz beruhigt, sie macht das mit fast jedem.«
Der Nachteil von direkter Kommunikation ist, dass man einmal Gesagtes nicht wieder zurücknehmen kann. Die letzte Bemerkung tut mir leid, denn eigentlich habe auch ich kein Recht, Andreas’ Liebesleben zu kritisieren. Aber er hat mich nun mal provoziert und muss deshalb mit dem Kontra rechnen. Eigentlich sollte ich jetzt direkt meinen Dienst quittieren. Aber das bringe ich nicht übers Herz. Unsere tierische Belegschaft hat schon unter den Missetaten eines Mannes zu leiden. Einen zweiten Fiesling würde sie nicht überleben.
Ich eile im Sauseschritt zurück in meine Zooküche, um das Fischfütter für die Kaiserpinguine zuzubereiten. Eine bessere Ablenkung gibt es kaum, denn meine gefiederten Freunde schaffen es immer, mich in glänzende Laune zu versetzen.
Es vergehen keine fünf Minuten, da kommt bereits der erste Pinguin angeschlurft und stellt sich dicht neben meine Beine. Ein paar weitere folgen umgehend, sodass ich binnen kurzer Zeit von den kleinen Frackträgern umringt bin. Kaiserpinguine kommen aus der Antarktis, sie sind es gewohnt, in kalten Regionen zu überleben. Dennoch nutzen sie jede Möglichkeit, Körperwärme zu isolieren. Das funktioniert über eine dicke Fettschicht, ein dichtes Federkleid und noch besser, wenn sie miteinander eine große Gruppe bilden und ab und zu die Positionen wechseln, damit jeder mal in die Mitte kann. Da kann auch ein Pfleger Teil der Gruppe werden. Wir sind schließlich auch warm. Ich komme mir vor wie eine Grundschullehrerin im Kreise ihrer Schüler, denn Kaiserpinguine erreichen eine Körpergröße von 1,30 Meter.
Die kleinen Kerle sind einfach immer für einen Lacher gut. Einmal hatte unser Praktikant Christoph vergessen, den Fischeimer mitzunehmen. Als er ihn am nächsten Morgen holen wollte, blickten ihn daraus zwei freche Pinguinaugen an. Der kleine Kerl hatte darin übernachtet. Allerdings sind Pinguine nur unter Wasser richtig schnell und geschickt. Christoph musste den armen Pinguin mit beiden Händen an den Stummelflügelchen aus dem Eimer herausheben.
Nach etwa zwanzig Minuten kehre ich mit dem leeren Eimer zurück.
Vor unserer Küche sind alle Gummistiefel der Mitarbeiter aufgereiht. Auch Andreas hat ein Paar, denn sogar der Direktor muss ab und zu mal in den Feuchtgebieten nach dem Rechten sehen. Wie ferngesteuert greife ich nach dem Fischeimer und kippe die restlichen Fischabfälle mitsamt der stinkenden Brühe in die Stiefel. Soll er doch sehen, wo er bleibt, wenn gute und treue Mitarbeiter wie ich sich gegen ihn stellen! Sein geliebter Freund Stefan hat ihm ja schon heute Vormittag den Rücken zugedreht. Ich werde mich aber nicht einschüchtern lassen. Der Fisch stinkt von den Füßen her, oder wie ging das alte Sprichwort nochmal? Egal. Ich muss jetzt erst einmal zum Verhör.
»Bitte versuch, dich so sachlich wie möglich zu verhalten!«, rät mir Carla auf dem Polizeipräsidium. Sie führt mich in einen kleinen Raum, der nur mit einem Computer und einem großen Spiegel ausgestattet ist. Ein junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig, kommt zu uns ins
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