Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
deutsche Einheit vollendet werden, meinten Berlin-Befürworter in der Debatte des Bundestages vom 20. Juli 1991. Das Ergebnis der anschließenden Abstimmung fiel knapp aus: 338 Stimmen entfielen auf Berlin, 320 auf Bonn.
Die Entscheidung für Berlin war nun allerdings keineswegs auch gleichzeitig eine Entscheidung für den Reichstag. Wo der Deutsche Bundestag sitzen würde, war eine Zeitlang umstritten. Einige Parlamentarier favorisierten einen Neubau an der Stelle des früheren Stadtschlosses, dort, wo jetzt der «Palast der Republik» der ehemaligen DDR stand. Doch im November 1990 war die Sache beschlossen: Der Bundestag sollte in den Wallotbau. Aber wäre es nicht besser, ihn umzubenennen? «Reich» klang so gefährlich; könnte man nicht einfach «Bundestag» sagen? War dies wiederum nicht typisch deutsch: geschichtsvergessen und verkrampft? Es blieb bei «Reichstag». Das Gebäude war durch den Krieg noch stark gezeichnet und in den zurückliegenden Jahren nur notdürftig wiederhergestelltworden. Vor allem fehlte die alte Kuppel. Brauchte man eine neue? War eine solche nicht zu imperialistisch, zu schwülstig, zu wilhelminisch? Ein Architektenwettbewerb, den Sir Norman Forster gewann, brachte Klärung: Die Kuppel von gestern wäre das falsche Zeichen; stattdessen wurde eine schlanke, zudem begehbare und somit vom Souverän – dem Volk – überwindbare Kuppel gebaut. Bevor es so weit war, konnte das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude 1994 den Reichstag für ein paar Wochen verhüllen; auch diesem Ereignis ging eine lange Kontroverse voraus. Am Ende waren auch die meisten Kritiker überzeugt: Die grandiose Verhüllung des Reichstages setzte ein Zeichen von Toleranz und Souveränität. Das Künstlerpaar schenkte der Stadt ein paar goldene Tage mit Volksfeststimmung um das Reichstagsgebäude. Dies erwies sich als eine einzigartige Chance, den Reichstag in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Dieser erfuhr eine Art «rituelle Reinigung» und so markierte die Ver- und Enthüllung einen Neubeginn für ein neues Parlament: den Deutschen Bundestag mit Sitz im Reichstag.
17. War Rot-Grün erfolgreich? «Kneif’ mich» sagte er zu einem neben ihm stehenden Freund, als am Wahlabend 1998 das Ergebnis feststand und Rot-Grün auf Bundesebene regieren konnte – so jedenfalls berichtet es Joschka Fischer in seinen Erinnerungen. «Wir kämpfen darum, dieses Land zu regieren, weil wir es gestalten wollen», sagte der GRÜNE Außenminister und Vizekanzler. Vor dreizehn Jahren, 1985, war Fischer als erster grüner Minister in Hessen vereidigt worden. Damals trug er Jeans, Fischgrätensakko und Turnschuhe. Jetzt, 1998, kleidete ihn feiner Zwirn. Während die einen schmunzelten, glaubten die anderen, er habe sie verraten. Hessen war nicht die einzige Koalition zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN auf Länderebene: 1989 gab es kurzzeitig eine solche Koalition in Berlin, lange Zeit regierten Sozialdemokraten und GRÜNE in Nordrhein-Westfalen, Schleswig Holstein und Hamburg; in Sachsen-Anhalt amtierte 1994–98 eine rot-grüne Minderheitsregierung. In Niedersachsen hatte Gerhard Schröder (SPD) in den Jahren 1989–94 Rot-Grün erprobt. Vier Jahre später installierte er eine solche Koalition im Bund, die fast zwei Legislaturperioden lang, bis 2005, funktionierte. Allerdings: Für viele traditionelle Sozialdemokraten bedeutete das Bündnis mit den postmateriellen, öko- und friedensbewegten GRÜNEN eine Zumutung, und bei jenen wiederum lagen sich Realos– die regieren wollten und deshalb zu Kompromissen bereit waren – und Fundis – die Wert auf eine kompromisslose Opposition legten – in den Haaren. Es war schwierig, überhaupt in den Tritt zu kommen. Riesige Erwartungen knüpften sich an das «Generationenprojekt» der meist 50-jährigen, häufig durch die 68er-Bewegung Geprägten. Ebenso groß waren die Verdächtigungen. Mit dem Wahlslogan der «Neuen Mitte» hatte die SPD nach 16 langen Regierungsjahren von Helmut Kohl deutschlandweit Aufbruchstimmung erzeugen können und wurde zum ersten Mal seit 1972 mit knapp 41% der Stimmen wieder stärkste Partei im Bundestag, während die CDU mit 35% ein Desaster erlebte. Die GRÜNEN sicherten sich wie vier Jahre zuvor schon den dritten Platz (6,7%) vor der FDP (6,2%) und der PDS (5,1%).
Schröder und Fischer betonten immer wieder ihre «Lust» am Regieren. Sie wollten den innenpolitischen «Reformstau» der Vorgängerregierung beenden. Doch dass die Zeiten vor allem
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