Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Deutschen Reiches ab und folgte den Leitsternen Entspannung, Verständigung und Frieden. In der Begründung des Nobel-Komitees hieß es, Brandt habe mit seiner Neuen Ostpolitik – man dachte vor allem an den Warschauer Vertrag mit Polen – die Hand zur Versöhnung zwischen alten Feindesländern ausgestreckt. Kein deutscher Bundeskanzler stand je in weltweit so hohem Ansehen wie Brandt damals – Adenauer war nur im Westen geschätzt –, und dessen Politik der Aussöhnung mit den Staaten Ostmittel- und Osteuropas umgab die Aura einer großen Friedenstat. Flankiert wurde die Idee einer «Friedensmacht» dadurch, dass die sozialliberale Regierung auf Anregung von Bundespräsident Gustav Heinemann Mitte 1970 die «Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung» gründete, die nicht nur die Forschung vorantreiben, sondern auch den Friedensgedanken verbreiten sollte.
25. Worum handelt es sich beim deutsch-französischen Tandem? Der am 22. Januar 1963 unterzeichnete Élysée-Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit ist zu einer tragenden Säule des Selbstverständnisses der beiden Nachbarn am Rhein geworden, und, gespeist von dem Topos der Völkerverständigung, umrankt ihn ein regelrechter Mythos. Der Weg lief offenbar geradewegs von der Erbfeindschaft zur Erbfreundschaft. Die Fotografie des Bruderkusses zwischen dem beinharten General de Gaulle und dem eingefleischten Zivilisten Adenauer nach der Vertragsunterzeichnung im Élysée-Palast gehört zur deutsch-französischen Ikonographie der Freundschaft.
Aber zeitgenössisch war das Werk höchst umstritten. Warum dieser Zweibund? Was wollte das «ewige Frankreich» mit dem «provisorischen Staat» Bundesrepublik anfangen? War dies nicht ein völlig ungleiches Paar? Wären die Liebesschwüre und die Hochherzigkeit General de Gaulles auch so groß gewesen, wenn Deutschland wiedervereinigt gewesen wäre, es die DDR, das zweite Deutschland, nichtgegeben hätte? Kam es für die im Kalten Krieg exponierte Bundesrepublik nicht in erster Linie auf einen engen Schulterschluss mit den USA an, in zweiter mit Großbritannien und erst in dritter mit Frankreich? So sahen es jedenfalls die Kritiker eines exklusiven Vertrages mit Frankreich. Denn dieser konnte leicht als Zustimmung der Bundesrepublik zu den fragwürdigen Plänen des Generals gedeutet werden: Großbritannien den Weg in die EWG mit Macht zu versperren und sich von den USA abzusetzen. Fieberhaft suchte man parteiübergreifend nach einem Ausweg. Der Bundestag ratifizierte den Vertrag im Mai 1963 schließlich erst, nachdem er mit einer Präambel versehen worden war, die es in sich hatte und beispiellos war in der jüngeren deutschen Diplomatiegeschichte. Sie war nichts anderes als eine subtile Form der Ablehnung, weil sie alle Themen aufführte, gegen die sich de Gaulle aussprach. Aussöhnung mit Frankreich – ja, aber der Vertrag stelle die Partnerschaft mit den USA nicht in Frage, auch nicht die NATO-Integration, ebenso wenig die Einigung Europas durch die EWG und den Beitritt Großbritanniens.
De Gaulle tobte und bezeichnete den Vertrag als Totgeburt; bei anderer Gelegenheit meinte er, die so hoffnungsvoll eingeleitete Ehe sei nicht vollzogen worden. Einer Brüskierung nur knapp entkommen war Bundeskanzler Adenauer, der den Vertrag seinerseits das Hauptwerk seiner gesamten Kanzlerschaft nannte. War dieses Adenauersche Hochjubeln nicht zu viel des Guten? Handelte es sich tatsächlich um eine «Begegnung der Völker»? Wären sich die beiden Völker diesseits und jenseits des Rheins ohne ihn nicht begegnet? War der Élysée-Vertrag wirklich der Dreh- und Angelpunkt der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945? Oder war er genau das Gegenteil, nämlich ein ganz und gar überflüssiger Vertrag? Jedenfalls provozierte er Proteststürme. So waren die sowjetischen Führer überzeugt, dass er geheime militärische Klauseln enthalte, besonders im Nuklearbereich, und de Gaulle musste sich von der «Iswestija» sagen lassen, dass er «den Hals jener Flasche erweitert hätte, aus dem der schlechte Genius des deutschen Revanchegeistes zu entweichen sucht».
Dass der Élysée-Vertrag überhaupt zustande kam, grenzte also fast an ein Wunder, dass er sich bis heute zwar mit Höhen und Tiefen, insgesamt aber sehr erfolgreich entwickelte, nicht minder. Er schrieb zweimal jährlich stattfindende Konsultationen der Staats- und Regierungschefs beider Länder vor, daneben regelmäßige Konsultationenauf
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