Die 13. Stunde
das?« Marcus blickte neugierig auf den wasserfleckigen Brief und erkannte schließlich seine eigene Handschrift.
»Ehe du das öffnest, muss ich dich um Hilfe bitten.«
»Na klar. Setz dich und sag, was du brauchst.«
Nick nahm widerwillig in dem Ohrensessel vor Marcus’ Schreibtisch Platz.
»Ich habe drei Minuten, um dich von dem Unmöglichen zu überzeugen. Was in dem Brief steht, ist wahr. Du selbst hast ihn auf meine dringende Bitte hin geschrieben.«
»Was willst du damit …«
Nick hob die Hand. »Ehe du etwas sagst, schwöre ich dir, dass ich dich niemals täuschen würde. Ich schwöre dir, dass ich bei klarem Verstand bin.«
Marcus starrte ihn ernst an; dann nahm er den Brief und riss das Kuvert auf. »Du bist ein Spinner, weißt du das?«, sagte er halb im Scherz.
»An mich selbst «, las er dann laut. Die Wörter waren verschwommen von Wasser, aber lesbar. Am wichtigsten aber war, dass Marcus die Schrift als seine eigene erkannte. »Ich weiß, es klingt verrückt … Na, das ist ja toll. Wann habe ich das geschrieben?« Er schaute zu Nick hoch, die Augen zusammengekniffen.
»Lies nur«, sagte Nick.
Marcus las stumm weiter.
An mich selbst!
Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich schreibe an mich selbst. Du
(also ich) weißt, dass dies meine Handschrift ist und dass wahrscheinlich
niemand diese Klaue je nachmachen könnte außer
Onkel Emmett, aber da er tot ist …
So schwer es zu glauben ist, vor Dir steht Nick und bittet
Dich um Hilfe, damit er Julia das Leben retten kann.
Marcus schaute kurz zu Nick hoch; dann blickte er wieder auf den Brief.
Irgendwie kennt Nick die Zukunft, das steht außer Frage. Ehe
Du jetzt denkst, er wäre verrückt – oder Du selbst, weil Du so
etwas schreibst –, werde ich Dir die Stichhaltigkeit meiner/unse-
rer Worte beweisen.
Du weißt es noch nicht, aber Jason Cereta ist tot. Du wirst
erst nach drei Uhr davon erfahren, wenn seine Frau in Tränen
aufgelöst im Büro anruft. Jason saß heute Morgen in Flug 502
von Westchester und ist bei dem Absturz umgekommen. Er wollte
nach Boston, um mit Reiner Hertz über die Aufnahme von Verkaufsverhandlungen
für seine Halix Ski Company zu sprechen.
Erinnere Dich, dass Du außer Jason niemandem von Deinem
Wunsch erzählt hast, Halix zu kaufen, und nur Nick gegenüber
hast Du erwähnt, wie sehr Du die Skier dieses Herstellers magst,
besonders aber die schweizerischen Models, die Halix jedes Jahr
für sich werben lässt. Ich habe ihr schwarz-orangenes Design
geliebt, seit ich ein kleiner Junge war und Dad mir gegen Moms
Wunsch ein Paar Skier zu Weihnachten gekauft hat. Am Hunter
Mountain hat er mir dann das Fahren beigebracht; es war der
27. Dezember, und Mom war furchtbar sauer, weil wir erst nach
Mitternacht wieder nach Hause kamen. Wie auch immer, Jason
war ein guter Junge und dachte, er macht Dir und mir eine
Freude und treibt gleichzeitig seine Karriere voran. Möge er in
Frieden ruhen.
Nick steht jetzt vor Dir und bittet Dich, ihm zu helfen, wenn
er Julia das Leben zu retten versucht. Ich will nur sagen, ich habe
die Zukunft gesehen. Was Nick tun musste, um mich zu überzeugen,
dass er die Wahrheit spricht, war das Schrecklichste, das
Entsetzlichste, was ich je gesehen habe. Sie kommen, um Julia zu
töten, und wenn Du Nick nicht hilfst, muss sie sterben.
Du hast bereits Schuldgefühle, weil Du Dad verloren hast,
ohne Dich mit ihm versöhnt zu haben. Sei Dir gewiss, die
Zukunft kommt, und wenn Du Nick nicht hilfst, ist Julia tot,
ehe die Sonne untergeht, und die Schuld dafür lastet auf Deinen
Schultern, wenn Du nicht tust, worum er Dich bittet.
Ich beschwöre Dich, hilf ihm!
Ich – und das bist Du,
Marcus Bennett
Marcus starrte auf seine Unterschrift und die erhabene Prägung des Firmensiegels, das er seit Wochen nicht mehr aus dem Schreibtisch genommen hatte. Er griff wieder in den Umschlag, zog die Titelseite des Wall Street Journal heraus und überflog es rasch.
Eine ganze Minute verstrich, ehe er wieder aufsah.
Wortlos hob er den Hörer vom Telefon und wählte.
»Helen? Ich bin’s. Ich muss sofort Jason sprechen … Was soll das heißen, er ist nicht im Büro? Kommen Sie mir nicht damit. Geben Sie mir seine Sekretärin!«
Fünf Sekunden lang schwieg er. Dann:
»Christine, hier Marcus. Wo ist Jason?«
Als sie in Marcus’ Bentley Continental GTC Cabrio über den Sunrise Drive jagten, war Nick froh, einmal an diesem Tag nicht selbst hinter
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