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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Führerscheinfoto. Ohne Zweifel musste sie jemandem auffallen, den er angeschrieben hatte, nur hätte er nie damit gerechnet, dass man ihn so rasch anrufen würde. Doch es war gut zu wissen, dass selbst heutzutage die Bürger des Countys noch zusammenhielten, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel stand.
     
Der Express war fast leer. Gegen Mittag waren nicht so viele Züge in die Großstadt unterwegs wie zur Rushhour, wenn man kaum einen Sitzplatz fand. Im Waggon saßen nur zwei andere Personen: eine ältere Dame in einem Chanel-Kostüm, offenbar unterwegs zu einem offiziellen Freitagabendanlass, die ihr Gesicht in einem knallig aufgemachten Roman vergrub, und ein junger Arzt in OP-Kleidung, der vor Müdigkeit kaum den Kopf oben halten konnte und über seiner Zeitung einzuschlafen drohte.
    Julia nahm nur selten den Zug. Sie fand das Bahnfahren unbequem und zog es vor, mit dem Wagen in die Stadt zu fahren, sodass sie Radio hören und mit dem Handy telefonieren konnte, wie sie wollte.
    Als sie sich endlich in ihren Sitz sinken ließ, konnte sie kaum glauben, dass sie für kurze Zeit in Flug 502 gesessen hatte, angeschnallt, bereit zum Start. Nun saß sie auf der Flucht in diesem Eisenbahnwaggon, und ihr Gefühl, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein, hatte sein kurzes Leben gelebt.
    Sie hatte nie begreifen können, was in den Köpfen der Leute vorging, die anderen Menschen Leid zufügten. Wie konnte jemanden willentlich seinen Mitmenschen schaden? Um ihr eigenes Leben hatte Julia noch nie fürchten müssen; sie hatte sich noch nie mit dem drohenden Tod konfrontiert gesehen. Doch plötzlich, innerhalb von weniger als zwei Stunden, betrachtete sie den Tod unter einer Vielzahl von Aspekten, von denen jeder sie den Wert des Lebens höher schätzen ließ; sie erkannte den Wert des Augenblicks, um dessen Kostbarkeit man sich gemeinhin keine Gedanken machte.
    Sowohl Marcus als auch Nick hatten ihr gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen, und das gab ihr erst recht zu denken. Julia wusste nicht, weshalb Nick solche Angst hatte. In den sechzehn Jahren, die sie nun zusammen waren, hatte er vor nichts und niemandem Furcht gezeigt, außer vor Gewittern und dem Fliegen.
    Doch Julia bekämpfte ihre Ängste, setzte ihr ganzes Vertrauen in ihren Mann. Nick besaß eine Mischung aus Findigkeit und Intelligenz, die sich nicht nur in seiner erfolgreichen Karriere zeigte, sondern auch in seinem erfolgreichen Leben. Wenn jemand sie retten konnte, die Dinge in Ordnung bringen konnte, dann Nick.
    Julia fuhr sich mit der Hand über den Leib. Obwohl er noch flach war, spürte sie das Leben, das in ihr wuchs und sich entwickelte – die Vervollständigung ihrer Einheit mit Nick, ein Kind ihrer Liebe und vielleicht die Vereinigung ihrer beider bester Eigenschaften. Julia fragte sich, was der genetische Spielautomat des Lebens auswerfen würde. Würde das Kind mehr Nick oder mehr ihr ähneln? Oder ihnen beiden in gleichem Maße? Blondes Haar, braunes Haar? Vielleicht sogar rotes Haar, das in beiden Familien vorkam? Grüne Augen oder blaue? Würde das Kind sportlich veranlagt sein wie seine Eltern?
    Wie immer es sein mochte, Julia würde glücklich darüber sein, denn es wäre ihr Kind, der neue Brennpunkt in ihrem Leben, der sämtliche bisherigen Prioritäten über den Haufen warf.
    Julia hatte es Nick sagen wollen, sobald sie ihn sah – nachdem ihr Plan, ihn mit den Ultraschallbildern zu überraschen, vereitelt worden war –, doch Marcus hatte Nick begleitet, und gemeinsam hatten sie Julia aus der Stadt verbannt und mit Warnungen vor einer lebensbedrohlichen Gefahr in den Zug gesetzt. Also musste die Nachricht von der Schwangerschaft auf einen Augenblick der Zweisamkeit warten.
    Der Zug wurde langsamer und hielt. Verwundert blickte Julia aus dem Fenster. Plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals, denn sie waren mitten im Nirgendwo, im Niemandsland zwischen den Bahnhöfen. Eigentlich sollte sie in einem Expresszug sitzen, der erst in Grand Central Station hielt, mitten in Manhattan.
    Julia steckte den Kopf in den schmalen Gang und blickte nach vorn und nach hinten, spähte durch die Glastüren, die die Waggons trennten, konnte aber nichts erkennen. Wahrscheinlich irgendein Problem mit dem Fahrplan, beruhigte sie sich und setzte sich wieder zurück. Leider kam vom Zugführer keine Durchsage über den Grund des Stopps, vom Schaffner war keine Spur zu sehen, und den anderen Fahrgästen schien der Halt egal zu sein.
    Zischend öffneten sich

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