Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
man sie nie wieder benutzen kann. Es ist besser, die Rationen zu kürzen, als aus irgendeinem Grund an Land zu gehen, noch nicht einmal, um einem Sturm auszuweichen, auch wenn die Buchten noch so sicher aussehen. Träume und Visionen werden den Geist Eurer Seeleute vergiften, und Euer Schiff wird von Mord und Totschlag und sinnloser Meuterei heimgesucht werden. In einer Bucht, die sicher scheint, kann es noch vor Tagesanbruch von Seeschlangen nur so wimmeln. Meerjungfrauen reiten auf den Wellen und locken mit nackten Brüsten und süßen Stimmen, doch die Seemänner, die ihnen folgen und ins Wasser springen, werden von den scharfen Zähnen nach unten gerissen, die den männlichen Gefährten der Jungfrauen gehören.
Der einzige sichere Hafen in diesen Gewässern ist die Stadt Bingtown. Der Ankerplatz ist gut, doch achtet auf ihre Docks, wo verzauberte Schiffe liegen, die die Euren aus ehrlichem Holz mit einem Fluch belegen können. Es ist am Besten ihre Docks zu meiden. Lasst den Anker in der Bingtown Bay fallen und Euch Waren mit Booten rausbringen. Wasser und Proviant aus diesem Hafen kann man trauen, auch wenn einige der Waren aus ihren Lagerhäusern unheimlich sind und dem Reisenden Pech bringen können. In Bingtown werden alle möglichen Waren ge- und verkauft, und vieles, was dort gehandelt wird, hat nicht seinesgleichen in der Welt. Doch haltet Eure Mannschaft auf dem Schiff; lasst nur den Lademeister und seine Leute an Land und unter die Stadtbewohner gehen. Es ist besser, wenn unwissende Seeleute keinen Fuß in dieses Land setzen, denn Menschen von schwachem Geist kann es verzaubern. Es ist wahr, was man von Bingtown sagt: »Was ein Mensch sich vorstellen kann, kann er dort kaufen.« Aber nicht alles, was ein Mensch sich vorstellen kann, ist auch gesund für ihn, und das gilt auch für vieles, was man dort verkauft. Großes Unglück für Schiff und Mannschaft ist die Folge, sollte einer des Verschleierten Volkes, das dort lebt, den Pfad des Kapitäns kreuzen, wenn er an Bord zurückkehrt. Es ist besser, eine Nacht an Land zu verbringen, als nach solch einem schlechten Omen sofort die Segel zu setzen.
Jenseits von Bingtown verlasst die Sicherheit der Inneren Durchfahrt und begebt Euch auf die Wilde Seite. Es ist besser, sich den Stürmen dort zu stellen, als die Piraten, Seeschlangen, Meerjungfrauen und andere in Versuchung zuführen, die die Gewässer dort bewohnen – von den tückischen Riffen und Strömungen ganz zu schweigen. Euer nächster Handelshafen sollte das verdorbene Jamailia sein. Wieder müsst Ihr Eure Mannschaft an der kurzen Leine halten, denn dort stiehlt man Seeleute.
KAPITÄN BANROPS
»RATSCHLÄGE FÜR KAUFFAHRER«
Ich hinterließ Prinz Pflichtgetreu eine Notiz auf dem Tisch im Gabenturm. Es stand nur darauf zu lesen: »Morgen.« Bereits vor dem morgendlichen Wachwechsel stand ich vor der Tür von Meister Gindasts Werkstatt. Das Lampenlicht aus den Fenstern fiel auf den verschneiten Hof. Im Dämmerlicht schlurften Lehrlinge durch die weiße Pracht, holten Wasser und Feuerholz für Heim und Werkstatt ihres Meisters und räumten Schnee von Holzstapeln.
Vergeblich suchte ich Harm unter ihnen.
Als er schließlich erschien, hatte das Licht schon Farbe in den Tag gebracht. Sein Blick verriet mir bereits, womit er die Nacht verbracht hatte. Noch immer hatte er ein wundersames Schimmern in den Augen, als könne er sein Glück gar nicht begreifen; er war so trunken davon, dass er schwankte. Hatte ich ebenso ausgesehen, als ich zum ersten Mal eine Nacht mit Molly verbracht hatte? Ich versuchte, mein Herz zu verhärten, als ich die Stimme hob und rief: »Harm! Auf ein Wort!«
Er lächelte, als er mir entgegen kam. »Ich habe nicht viel Zeit, Tom. Ich bin ohnehin schon spät dran.«
Der Tag war blau und weiß um uns herum, die Luft kalt und frisch, und mein Sohn grinste mich an. Ich fühlte mich wie ein Verräter an alledem, als ich sagte: »Und ich weiß auch, warum du zu spät bist. Gleiches gilt für Svanjas Vater. Wir haben euch gestern Abend gesucht.«
Ich hatte damit gerechnet, dass er sich schämte. Stattdessen grinste er jedoch nur umso breiter, das wissende Lächeln zwischen Männern. »Nun. Ich bin froh, dass ihr uns nicht gefunden habt.«
Ich empfand das irrationale Verlangen, ihn zu schlagen, ihm diesen Ausdruck aus dem Gesicht zu prügeln. Es war, als stünde er in einer brennenden Scheune und genösse die Hitze ungeachtet der Gefahr für sich und Svanja. Das, so wusste ich
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