Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
deutlich, wie er kurz die Nasenlöcher schloss. Offensichtlich hatte er beschlossen, noch einmal von vorne zu beginnen, denn er lächelte mich an und fragte freundlich: »Hast du je von Drachen geträumt? Hast du je davon geträumt, wie ein Drache zu fliegen … oder ein Drache zu sein?«
Dieser Treffer war viel zu nah. Ich nickte eifrig, ein Diener, dem es schmeichelte, sich mit seinem Herrn unterhalten zu dürfen. »Oh, haben wir das nicht alle, Herr? Wir Volk der Sechs Provinzen, meine ich. Ich bin alt genug, um gesehen zu haben, wie die Drachen den Sechs Provinzen zur Hilfe geeilt sind, Herr. Ich nehme an, es ist nur natürlich, dass ich manchmal von ihnen träume. Sie waren wahrlich prachtvoll, Herr. Und auch entsetzlich und gefährlich, aber das ist den Menschen nicht im Gedächtnis geblieben, die sie gesehen haben. Es ist ihre Größe im wahrsten Sinne des Wortes, an die man sich erinnert, Herr.«
Er lächelte mich an. »Genau. Prachtvoll. Größe. Vielleicht war es das, was ich in dir gefühlt habe.« Wieder musterte er mich, und ich fühlte, dass das blaue Glühen in seinen Augen durchdringender war als die Augen selbst. Ich versuchte, dieser Musterung auszuweichen.
Ich blickte an ihm vorbei. »Damit bin ich nicht alleine, Herr. Es gibt viele in den Sechs Provinzen, die unsere Drachen haben fliegen sehen, und einige sahen noch weit mehr als ich, denn damals lebte ich noch nicht in Bocksburg, sondern auf dem Hof meines Vaters. Wir haben dort Hafer angebaut. Hafer haben wir angebaut und Schweine gezüchtet. Andere könnten Euch noch viel bessere Geschichten erzählen als ich. Doch allein ein Blick auf einen Drachen reichte aus, um die Seele eines Mannes brennen zu lassen, Herr.«
Er machte eine abschätzige Geste. »Daran zweifele ich nicht; aber ich spreche jetzt von etwas anderem. Ich spreche von echten Drachen, von Drachen, die atmen, essen, wachsen und sich fortpflanzen wie jedes andere Wesen auch. Hast du je von solch einem Drachen geträumt? Von einem mit Namen Tintaglia?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich träume nicht viel, Herr.« An dieser Stelle legte ich eine kleine Pause ein, lange genug, um unangenehm zu sein. Dann nickte ich ihm wieder knapp zu und fragte: »Wie kann ich Euch jetzt behilflich sein, Herr?«
Ich dachte darüber nach, ihn einfach stehen zu lassen und davonzuhuschen, nur dass ich etwas in der Luft zu fühlen glaubte. Summt Magie? Nein, so funktioniert das nicht, aber es ist eine ähnliche wortlose Vibration, die man spürt, allerdings nicht mit dem Körper, sondern mit jenem Teil des menschlichen Wesens, durch das man Magie wirkt oder empfängt. Die Alte Macht flüstert, und die Gabe singt. Das ist etwas, worin beide sich ähnlich sind und dennoch unterscheiden. Es kroch meine Nerven entlang und sträubte mir die Nackenhaare. Plötzlich riss der Junge den Blick wieder zu mir herum. »Sie sagt, dass du lügst«, beschuldigte er mich.
»Herr!« Ich war so beleidigt, wie ich angesichts des Entsetzens, das ich empfand, nur sein konnte. Irgendetwas tastete wütend nach mir. Ich hatte das Gefühl, als würden Klauen durch mich hindurch fahren. Irgendein Instinkt warnte mich, meine Gabenmauern so zu lassen, wie sie waren, dass ich mich ihr nur zu erkennen geben würde, sollte ich sie verstärken. Denn es war eindeutig eine ›Sie‹, die mich zu packen versuchte. Ich atmete tief ein. Ich war ein Diener, ermahnte ich mich. Doch jeder Diener in Bocksburg hätte sich ob solcher Worte von einem Fremden rechtschaffen beleidigt gezeigt. Ich straffte die Schultern. »Unsere Königin besitzt einen guten Weinkeller, Herr, wie jeder in den Sechs Provinzen weiß. Vielleicht ist dieser Keller für jemanden, der so empfindsam ist wie ihr, ein wenig z u gut. Fremden ist das schon öfter hier passiert. Vielleicht solltet Ihr in Euren Gemächer ein wenig Ruhe suchen.«
»Du musst uns helfen. Du musst sie dazu bringen, uns zu helfen.« Er schien meine Worte nicht gehört zu haben. Verzweiflung lag in seiner Stimme. »Sie ist bis ins Herz getroffen. Tag für Tag versucht sie, sie zu füttern, aber es gibt nur sie. Sie kann so viele nicht füttern, und sie können nicht selber jagen. Sie selbst ist schon ganz dünn geworden; sie ist ausgelaugt von dieser Aufgabe. Sie verzweifelt aus Furcht, dass sie nie zu angemessener Größe und Kraft heranwachsen werden. Verdammt sie nicht dazu, die letzte ihrer Art zu sein. Wenn eure Drachen der Sechs Provinzen irgendetwas Ähnliches wie die wahren Drachen sind,
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