Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
tun zu können.
Ich nahm meinen Mantel vom Haken und verließ Fürst Leuenfarbs Gemächer. Ich beschloss auszugehen. Ich musste raus aus der Burg, weg von all den Intrigen und der Täuschung. Ich hatte das Gefühl, als würde ich förmlich in Lügen ertrinken.
Ich stieg die Stufen zum Dienereingang hinunter. Als ich durch die Haupthalle schritt, spürte ich ein Schaudern in der Alten Macht. Ich hob den Blick. Vom anderen Ende der Halle kam mir der verschleierte Bingtown-Jüngling entgegen. Er hatte den Schleier angelegt, aber durch die Spitze, die sein Gesicht verbarg, sah ich das schwache blaue Glühen seiner Augen. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich wollte zur Seite gehen oder mich gar umdrehen und weglaufen, alles, nur, um ihm aus dem Weg zu gehen. Aber solch ein Handeln hätte äußerst seltsam gewirkt. Also riss ich mich zusammen und ging entschlossen auf ihn zu. Ich wandte die Augen ab, aber als ich dann doch wagte, zu ihm hin zu schauen, fühlte ich seinen Blick auf mir. Er wurde langsamer, als wir uns einander näherten. Als wir uns sehr nahe waren, nickte ich knapp, wie es einem Diener geziemte. Aber bevor ich an ihm vorübergehen konnte, blieb er unvermittelt stehen. »Hallo«, begrüßte er mich.
Ich versteifte mich und wurde ganz der korrekte Bocksburgdiener. Ich verneigte mich aus der Hüfte. »Guten Abend, Herr. Wie kann ich Euch dienen?«
»Ich … ja … vielleicht könntest du das.« Er hob den Schleier und schlug die Kapuze zurück, während er sprach, und enthüllte so sein schuppiges Gesicht. Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Aus der Nähe betrachtet, war sein Gesicht sogar noch viel bemerkenswerter. Ich hatte sein Alter zu hoch eingeschätzt. Er war einige Jahre jünger als Harm oder Pflichtgetreu, auch wenn ich sein genaues Alter noch nicht einmal schätzen konnte. Seine Größe passte jedoch ganz und gar nicht zu seinem jungenhaften Gesicht.
Das silbrige Schimmern der Schuppen auf seinen Wangen und seiner Stirn erinnerte mich an die Tätowierungen der Narcheska. Plötzlich erkannte ich, dass diese Schuppen das waren, was Fürst Leuenfarb manchmal mit seiner jamailianischen Schminke nachahmte. Das war eine merkwürdige kleine Erkenntnis, eine, die ich zu all den anderen bedeutenden Dingen stopfte, die der Narr sich nie die Mühe gegeben hatte, mir zu erklären. Aber wenn es seinen Zwecken dienlich war, würde er es mir ohne Zweifel sagen. Bitterkeit wallte in mir auf wie Blut aus einer frischen Wunde. Der Bingtowner winkte mich näher heran, während er gleichzeitig vor mir zurückwich. Widerwillig folgte ich ihm. Er blickte in einen kleinen Salon und winkte mich dort hinein. Er machte mich nervös. Ich wiederholte meine Frage wie ein guter Diener. »Wie kann ich Euch behilflich sein?«
»Ich … Ich habe das Gefühl, als sollte ich dich kennen.« Er musterte mich eingehend. Als ich ihn nur verwirrt anstarrte, versuchte er es erneut: »Verstehst du, wovon ich spreche?« Er schien mir helfen zu wollen.
»Ich bitte um Verzeihung, Herr. Braucht Ihr Hilfe?« Mehr fiel mir nicht ein.
Der Junge blickte über die Schulter und sagte dann in drängendem Tonfall: »Ich diene dem Drachen Tintaglia. Ich bin mit den Gesandten aus Bingtown hier und den Repräsentanten der Regenwildnis. Sie sind mein Volk, aber ich diene dem Drachen Tintaglia, und ihre Sorgen kommen für mich zuerst.« Er sprach die Worte, als wolle er mir damit etwas Bedeutsames sagen.
Ich hoffte, dass meine Gefühle mir nicht anzusehen waren. Ich empfand Verwirrung, doch nicht ob seiner seltsamen Worte, sondern weil der Name merkwürdige Gefühle in mir wachrief. Tintaglia. Ich hatte den Namen früher schon einmal gehört, doch wenn er ihn aussprach, war es, als würde ein Traum irgendwie in die wache Welt durchbrechen. Wieder spürte ich den Wind unter meinen Flügeln und schmeckte den Nebel im Mund. Dann war diese bruchstückhafte Erinnerung verschwunden, und zurück blieb nur das angenehme Gefühl, einen winzigen Augenblick meines Lebens lang jemand anderer gewesen zu sein. Ich sprach das Einzige aus, was mir einfiel: »Herr, wie kann ich Euch helfen?«
Der Junge starrte mich an, und ich fürchte, ich habe ihn ebenso aufmerksam betrachtet. Die ›Zottel‹ an seinem Kiefer waren gezackte Haut. Der fleischige Rand war zu regelmäßig, als dass es eine Narbe oder unnatürliches Wachstum hätte sein können. Sie sahen aus, als gehörten sie eigentlich zu seiner Nase oder seinen Lippen. Er seufzte, und dabei sah ich
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