Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
tun?«
Kurz riss sie bestürzt die blau-grünen Augen auf; dann nahm sie sich zusammen. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und musterte mich einen Augenblick lang. »Was hat dir Chade darüber gesagt?«, konterte sie.
Wider Willen grinste ich. Für einen Moment waren die Sorgen um meine Tochter wie weggeblasen. Ich hörte mich selbst antworten: »Chade hat mir gesagt, dass ich mich vor Frauen in acht nehmen soll, die Fragen mit einer Frage beantworten.«
Einen Augenblick lang glaubte ich, dass ich eine Grenze überschritten hatte; doch dann erschien ein Lächeln auf Kettrickens Gesicht, und sie senkte die Mauer des Misstrauens und der Vorsicht. Da erkannte ich plötzlich die Sorge und die Erschöpfung hinter der ruhigen Fassade meiner Königin. Viel zu viele Probleme drangen von allen Seiten auf sie ein: die Verlobung des Prinzen mit der unberechenbaren Narcheska und Pflichtgetreus lächerliche ›Queste‹, das Problem der Zwiehaften, die politischen Unruhen der Gescheckten, ihre streitlustigen Adeligen und dann noch Bingtown mit seinem Krieg und seinem Drachen … all das beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. So wie ein zufälliger Windstoß die Glut wieder entfachen kann, so weckte Kettrickens kummervoller, aber gefasster Gesichtsausdruck das ferne Echo der Liebe in mir, die Veritas für diese Frau empfunden hatte. Dank der Gabenverbindung, die ich einst mit meinem König geteilt hatte, hatte ich seine Gefühle kennen gelernt. Um seinetwillen und aus eigener Zuneigung für Kettricken empfand ich plötzlich Sorge für sie. Als sie sich offensichtlich erleichtert darüber, dass ich keinen Streit mit ihr suchte, auf ihrem Stuhl zurücklehnte, schämte ich mich kurz. Mit meinen eigenen drängenden Sorgen vor Augen vergaß ich bisweilen, dass andere Menschen eine mindestens ebenso schwere Last zu tragen hatten.
Kettricken seufzte. »Fitz, ich bin froh, dass du gekommen bist, um das persönlich mit mir zu besprechen. Chade ist ein weiser Ratgeber, erfahren und dem Weitseherthron treu ergeben. An seinen guten Tagen hat er einen klaren Blick für Staatsangelegenheiten. Auch kennt er die Herzen meines Volkes. Sein Rat ist klug und verlässlich. Aber wenn er über Nessel mit mir spricht, spricht er stets als Berater des Weitseherthrons.« Sie griff über den Tisch hinweg und legte die Hand auf die meine. »Ich würde lieber als Freundin mit ihrem Vater sprechen.«
Das schien mir ein guter Zeitpunkt zu sein, Schweigen zu bewahren.
Die Königin ließ ihre Hand, wo sie war, als sie schlicht erklärte: »Fitz, Nessel sollte in der Gabe ausgebildet werden. Tief in deinem Herzen weißt du das auch. Nicht nur, um sie vor den Gefahren dieser Magie in unausgebildeten Händen zu bewahren – ja, ich habe ein paar der Schriftrollen gelesen, als ich darüber nachgedacht habe, wie man mit Pflichtgetreus Potential verfahren soll –, sondern auch weil sie ist, wer sie ist. Sie ist eine mögliche Erbin des Weitseherthrons.«
Ihre Worte nahmen mir den Wind aus den Segeln. Ich hatte erwartet, mit ihr über das Für und Wider zu debattieren, Nessel in der Gabe zu unterrichten, nicht wieder auf die ältere, ernstere Gefahr zu sprechen zu kommen, die meiner Tochter drohte. Ich fand keine Worte, um meiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen, aber das war auch ganz gut so. Meine Königin war noch nicht fertig.
»Wir können nicht ändern, wer wir sind. Ich zum Beispiel werde für immer Veritas Königin sein. Du bist Chivalrics Sohn, illegitim, aber nichtsdestotrotz ein Weitseher. Zugleich bist du jedoch tot für dein Volk, und Chade ist sowohl alt als auch nicht als Weitseher anerkannt. Augusts Verstand, das wissen wir beide, hat sich nie wieder vollständig davon erholt, dass Veritas durch ihn hindurch zu mir hinausgegriffen hat. Ich bin sicher, dass mein König nie beabsichtigte, seinem Vetter solchen Schaden zuzufügen, aber es ist nun mal passiert. Wir können nicht ändern, wer wir sind, und August ist dem Namen nach zwar ein Weitseher in Wahrheit jedoch nur ein umherirrender Mann, der vor seiner Zeit gealtert ist. Ihn kann man nicht ernsthaft als Thronerben in Betracht ziehen für den Fall, dass Veritas Linie scheitern sollte.«
Ihre sorgfältig durchdachte Logik schlug mich in ihren Bann. Ich konnte nicht anders, als zustimmend zu nicken, auch wenn ich sah, wohin ihr Gedankengang unweigerlich führte.
»Doch es muss immer einen geben, der als Ersatz bereit steht, jemanden, der den Thron besteigen kann, sollte alles andere
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