Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Leute den Rest von mir als normal akzeptieren.« Er stand auf. Am rechten Fuß trug er einen bestickten Tanzschuh, der Rest war bis zum Knöchel mit einem Stützverband umwickelt. Er griff nach einem reich beschnitzten Gehstock. Ich erkannte den Stock als Werk seiner eigenen Hände; für jeden anderen musste er schlicht unfassbar teuer wirken.
An diesem Abend gingen wir ganz in Purpur und Weiß. Wir sahen wie Steckrüben aus, dachte ich bei mir. Fürst Leuenfarbs Gewänder waren weit prachtvoller und auffälliger als meine. Die Manschetten meines gestreiften Hemdes hingen lose an meinen Handgelenken herunter, doch seine ragten sogar noch weit über die Handgelenke hinaus. Sein Hemd war weiß, doch das purpurfarbene jamailianische Wams, das sich eng um seine Brust schloss, besaß einen reich bestickten Rocksaum, auf dem tausende winziger, schwarzer Perlen glitzerten. Anstatt der Hosen eines Dieners trug er eine Gamaschenhose aus feinster Seide. Er hatte sich entschlossen, sein Haar offen und in langen Locken auf die Schultern fallen zu lassen; es sah aus wie aus purem Gold. Ich hatte keine Ahnung, was er mit seinem Haar gemacht hatte, um es derart auffällig zu frisieren. Er hatte sich sein Gesicht wie die jamailianischen Adeligen bemalt: ein schuppenartiges blaues Muster über den Augenbrauen und auf den Wangenknochen. Er ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte. »Und?«, verlangte er ein wenig nervös zu wissen.
»Du hast Recht. Du gibst wirklich einen überzeugenden jamailianischen Edelmann ab.«
»Dann lass uns runtergehen. Hol meinen Hocker und das Kissen. Wir werden meine Verletzung als Entschuldigung für unser frühes Erscheinen in der Großen Halle nehmen und zuschauen, wie die Anderen nach und nach eintreffen.«
Ich nahm den Hocker in die rechte Hand und schob das Kissen unter meinen rechten Arm. Meine Linke bot ich Fürst Leuenfarb an, der nun ein überdeutliches Humpeln vortäuschte. Wie immer erwies er sich als begnadeter Schauspieler. Vielleicht lag es an der Gabenverbindung zwischen uns, auf jeden Fall fühlte ich, wie viel Vergnügen ihm das Spektakel bereitete. Es schlug sich jedoch offensichtlich nicht in seinem Verhalten nieder, denn den ganzen Weg nach unten über tadelte er mich für meine Ungeschicklichkeit.
Nicht weit von den riesigen Türen der Großen Halle entfernt blieben wir kurz stehen. Fürst Leuenfarb tat, als müsse er erst einmal zu Atem kommen, während er sich auf meinen Arm stützte, aber der Narr flüsterte mir ins Ohr: »Vergiss nicht, dass du hier ein Diener bist. Demut, Tom Dachsenbless. Egal, was du siehst, schau niemanden herausfordernd an. Das wäre nicht angemessen. Bereit?«
Diese Erinnerung war überflüssig gewesen, aber ich nickte und stopfte das Kissen fester unter den Arm. Wir betraten die Große Halle, und auch hier hatten die Veränderungen keinen Halt gemacht. In meiner Kindheit war die Große Halle der Versammlungsort aller Burgbewohner gewesen. Ich hatte am Kamin gesessen und Fedwren dem Schreiber meine Lektionen rezitiert. An den anderen Kaminen der Halle versammelten sich damals häufig weitere Gruppen: Männer schnitzten Pfeile, Frauen stickten und plapperten, Barden gaben alte Lieder zum Besten oder komponierten neue. Trotz der knisternden Kaminfeuer und der Diener, die ständig neues Brennholz heranschafften, war die Große Halle in meiner Erinnerung stets feucht und kalt. Das Licht schien nie bis in die Ecken vorzudringen. Im Winter verschwanden die Wandteppiche und Banner im Zwielicht; auch tagsüber hatte hier Nacht geherrscht. Ich erinnerte mich daran, dass der kalte, steinerne Fußboden dick eingestreut gewesen war, was durch die Feuchtigkeit dem Schimmel Vorschub leistete. Wenn die Mahlzeiten auf den langen Tischen angerichtet wurden, krochen die Hunde darunter oder eilten wie hungrige Haie zwischen ihnen hin und her. Es war ein sehr lebhafter und lauter Ort gewesen, in dem die Geschichten der Soldaten widerhallten. König Listenreichs Bocksburg, dachte ich bei mir, war ein rauer, kriegerischer Ort gewesen, eine Burg und Festung und erst in zweiter Linie ein Palast.
Waren es die Zeit oder Königin Kettricken, die die Burg so sehr verändert hatten?
Es roch sogar anders, weniger nach Schweiß und Hunden, sondern mehr nach brennendem Apfelholz und Essen. Die Dunkelheit, welche die Kaminfeuer und Kerzen nie zu durchbrechen vermocht hatten, hatte nun widerwillig nachgegeben und sich bis über die an Goldketten hängenden Kronleuchter
Weitere Kostenlose Bücher