Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Entsetzen wie erstarrt. Dann stürzte ich mich ihm hinterher, wohlwissend, wie schwierig es sein würde, ihn wieder einzulangen.
Später beschrieb ich es Chade: »Stell dir eine von diesen großen Versammlungen vor, wo unzählige Gespräche geführt werden. Du fängst an, eines zu verfolgen, da erregt ein Satz aus einem anderen dein Interesse. Dann wieder ein anderes. Plötzlich bist du verloren und stolperst zwischen den Worten hin und her. Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, wem du als Erstes zugehört hast, oder was dein erster Gedanke war. Jeder Satz, den du hörst, erregt von neuem deine Aufmerksamkeit, und du weißt nicht mehr, was wichtig ist und was nicht. Alle Gespräche existieren zu gleich, alle sind gleichermaßen attraktiv, und alle beanspruchen ein Stück von dir und tragen es mit sich fort.«
Die Gabe ist kein Ort, wo man etwas sehen, hören oder berühren könnte – nur Gedanken. Im einen Augenblick war der Prinz noch neben mir gewesen, stark, vollständig, ganz er selbst; und im nächsten hatte er viel zu viel Aufmerksamkeit einem Gedanken geschenkt, der weit stärker war als seine eigenen. So wie man ein Kleid rasch auflöst, wenn man einen losen Faden aufgreift und daran zieht, so hatte sich auch der Prinz aufgelöst. Zwar kann man den Faden auffangen und zusammenrollen, aber das Kleid bleibt kaputt. Und doch griff ich nach ihm, während ich mich durch den Strudel willkürlicher Gedanken kämpfte. Ich schnappte mir die Fäden seiner Gedanken und sammelte sie ein, die selbst wie wild nach ihrem immer schwächer werdenden Herz, ihrer Quelle suchten. Ich war schon in viel stärkeren Gabenströmungen gewesen als die, durch die ich mich nun bewegte, und so blieb ich selbst intakt. Aber der Prinz besaß weit weniger Erfahrung als ich. Er wurde auseinander gerissen, zerfetzt von einer immer stärker werdenden Strömung der Empfindungen. Um ihn zurückzuholen, würde ich mein eigenes Heil aufs Spiel setzen müssen, doch da es meine Schuld war, betrachtete ich das nur als fair.
Pflichtgetreu! Ich ließ den Gedanken weit hallen und öffnete meinen Geist für die Antwort. Was ich zurückbekam, war ein Sturm der Verwirrung, als jene Menschen mit schwachem Talent mein Eindringen in ihre Gedanken bemerkten und sich fragten, was ich wohl sein mochte. Das Gewicht ihrer plötzlichen Aufmerksamkeit fiel auf mich und riss dann an mir, als hätten sich Tausende von Haken in meinen Leib gebohrt.
Es war ein seltsames Gefühl, besorgniserregend und belebend zugleich. Ich konnte alles viel klarer wahrnehmen als üblich. Vielleicht hatte Chade recht daran getan, mir die Elfenrinde abzunehmen. Aber das blieb nur ein flüchtiger Gedanke, als ich mich darauf konzentrierte, was ich tun musste. Ich schüttelte den Sturm der fremden Empfindungen von mir, wie ein Wolf sein Fell ausschüttelte. Kurz fühlte ich Staunen und Verwirrung, als ich sie hinter mir ließ und mich wieder meinem Ziel zuwandte. PFLICHTGETREU! Mein Gedanke bellte nicht seinen Namen, sondern die ›Idee‹ von ihm, das Bild, das ich so deutlich gesehen hatte, als sich unsere Gedanken zum ersten Mal berührt hatten. Was ich als Antwort von ihm fühlte, war ein fragendes Echo, als könne er sich kaum daran erinnern, wer er noch vor wenigen Sekunden gewesen war.
Ich fischte ihn aus dem verworrenen Fluss, siebte seine Fäden heraus und hielt sie fest, während ich die anderen durch meine Wahrnehmung von ihm hindurchfließen ließ. Pflichtgetreu. Pflichtgetreu. Pflichtgetreu. Das Klopfen meines Gedankens war wie ein Herzschlag für ihn, und eine Bestätigung. Dann hielt ich ihn eine Zeit lang fest, stabilisierte ihn, und schließlich fühlte ich, wie er langsam zu sich selbst zurückkehrte. Rasch sammelte er jene Fäden seiner selbst ein, die ich bis dahin nicht als die seinen wahrgenommen hatte. Ich war die Stille um ihn herum, welche die Gedanken der Welt von ihm fernhielt, während er sich selbst neu formierte.
Tom? , fragte er schließlich. Das Bild, das er mir anbot, war nur ein Teil meiner selbst, die einzelne Facette, die ich ihn hatte sehen lassen.
Ja, bestätigte ich ihm. J a, Pflichtgetreu. Und das ist mehr als genug für heute. Lös dich nun davon, kehre wieder zu dir selbst zurück.
Gemeinsam verließen wir den verführerischen Fluss und kehrten in unsere eigenen Körper zurück. Doch in dem Augenblick, da wir den Gabenfluss verließen, hatte ich das Gefühl, als hätte jemand anderes zu mir gesprochen, ein fernes Gedankenecho.
Das hast
Weitere Kostenlose Bücher