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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Pflichtgetreu stand. Nur noch der Tisch war zwischen uns. Ich wusste, dass ich seine Gedanken erreichen konnte, doch noch immer zögerte ich. Ich wollte ihn nicht überwältigen, wie Veritas es bei mir getan hatte, als unsere Gedanken zum ersten Mal aufeinander gestoßen waren. Dann also langsam. Ganz sanft.
    Ich atmete tief durch und tastete mich zu ihm vor.
    Er lächelte, die Augen noch immer geschlossen.
    »Ich höre Musik.«
    Das war eine doppelte Enthüllung für mich. Für diesen Jungen war der Umgang mit der Gabe etwas ganz Natürliches. Er war ungewöhnlich sensibel für alles, was damit verbunden war, viel sensibler als ich. Als ich weit um uns hinausgriff, bemerkte auch ich Dicks Musik. Sie war da – wie das Geräusch von plätscherndem Wasser in meinem Hinterkopf. Sie war wie der Wind vor dem Fenster, etwas, das ich mir zu ignorieren angewöhnt hatte wie das Rauschen der Gedanken anderer, Geräusche kaum lauter als das Fallen von Laub in einen Waldbach. Doch als ich Pflichtgetreus Geist berührte, stellte ich fest, dass er Dicks Musik so laut und klar hörte wie die Stimme eines Barden, die sich aus dem Chor hervorhebt. Dick war in der Tat stark.
    Das Talent des Prinzen war mindestens ebenso ausgeprägt, denn kaum hatte ich ihn nur leicht mit der Gabe berührt, da wandte er sich mir wieder zu, und ich war mir seiner bewusst. Es war ein Augenblick geteilter Einsicht, als wir einander durch unsere Bindung erkannten. Ich blickte in sein Herz und fand dort nicht einen Funken Arglist. Die Offenheit, mit der er die Gabe anwendete, war die Gleiche, die auch sein Leben bestimmte. In seiner Gegenwart kam ich mir klein und dunkel vor, denn ich selbst blieb verhüllt; ich ließ ihn nur sehen, was ich ihn sehen lassen wollte, jenen kleinen Teil meiner selbst, der sein Lehrer war.
    Bevor ich ihn überhaupt bat, zu mir hinauszugreifen, mischten sich seine Gedanken mit den meinen. Ist die Musik ein Test von dir? Ich höre sie. Sie ist wunderschön. Seine Gedanken kamen klar und stark zu mir herüber, aber ich fühlte eine gewisse Schärfe in seiner Gabe. Das war die Art, wie er beschlossen hatte, dass ich ihn wahrnehmen sollte. Er benutzte sein Gabenbewusstsein, um meine Gedanken aus all dem Gedankenrauschen in Bocksburg und jenseits davon auszusondern. Ich fragte mich, ob ich ihm das würde abgewöhnen können. Ich glaube, ich habe diese Melodie schon einmal gehört, aber ich kann mich nicht mehr an den Titel des Liedes erinnern. Sein Denken brachte mich wieder in die Gegenwart zurück. Pflichtgetreu wurde von der Musik angezogen und es schien, als würde er einen Schritt von sich wegtreten.
    Damit war alles klar. Chade hatte Recht gehabt. Dick musste entweder unterrichtet oder beseitigt werden. Ich schirmte den Prinzen von diesem düsteren Gedanken ab. Vorsichtig, Junge. Lass uns langsam vorwärts gehen. Dass du die Musik hören kannst, beweist eindeutig, dass du in der Lage bist, die Gabe zu nutzen. Was du im Augenblick wahrnimmst, die Musik und die willkürlichen Gedanken, das ist wie das Treibgut, das auf einem Bach dahinfließt. Du musst lernen, das zu ignorieren und stattdessen ein sauberes leeres Wasser finden, wo du deine Gedanken nach deinem Willen ausschicken kannst. Die Gedanken, die du hörst, das Flüstern und die Andeutungen von Gefühlen, sie alle stammen von Menschen, die über ein minimales Talent für die Gabe verfügen. Du musst lernen, diese Geräusche zu ignorieren. Gleiches gilt für die Musik, die von jemandem kommt, der stärker in der Gabe ist, aber für den Augenblick musst du auch das ignorieren.
    Aber die Musik ist so schön.
    Das ist sie wirklich. Aber die Musik ist nicht die Gabe. Die Musik ist nur das, was ein Mensch aussendet. Sie ist wie ein Blatt, das auf einem Fluss dahintreibt. Sie ist schön und graziös, aber darunter fließt die kalte Macht des Flusses. Solltest du dich davon ablenken lassen, könntest du die Kraft des Flusses vergessen und von der Strömung mitgerissen werden.
    Dumm, wie ich war, hatte ich seine Aufmerksamkeit nur noch stärker auf die Musik gelenkt. Ich hätte wissen müssen, dass sein Talent weit größer war als seine Fähigkeit, es zu kontrollieren. Er richtete seine Gedanken auf die Musik, und bevor ich eingreifen konnte, konzentrierte er sich darauf … und im selben Augenblick wurde er von mir fortgerissen.
    Es war, als müsse ich ein Kind einfangen, das im seichten Wasser gewatet und plötzlich von der Strömung gepackt worden war. Zuerst war ich vor

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