Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
vertragen.«
Ich nickte, ohne etwas darauf zu erwidern, und ließ Web an der Reling stehen. Ich ging zu der kleinen Kabine, die man der Zwiehaften Kordiale zugewiesen hatte. Alle anderen waren geflohen, vermutlich vor der Stärke von Dicks Gefühlen, die in einer immer stärker werdenden Gabenflut von ihm ausstrahlten. Er schlief, aber nicht friedlich, sondern schlicht vor Erschöpfung. Ich blickte auf sein Gesicht und sah dort eine Einfachheit, die weder kindlich noch dumm wirkte. Seine Wangen waren gerötet, und kleine Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Das Fieber war wieder zurückgekehrt, und sein Atem ging rasselnd. Ich setzte mich neben seiner Pritsche auf den Boden. Ich schämte mich für das, was ich ihm antat. Das war nicht richtig, und wir wussten es, Chade, Pflichtgetreu und ich. Dann ergab ich mich meiner eigenen Müdigkeit und legte mich hin.
Ich atmete dreimal tief ein, um mich zu konzentrieren; dann sammelte ich meine Gabe. Ich schloss die Augen und legte Dick leicht den Arm um die Schultern, um unsere Gabenverbindung zu verstärken. Ich hatte erwartet, dass er seine Mauern gegen mich errichtet hatte, doch er war wehrlos. So schlüpfte ich ungehindert in seinen Traum, wo ein verlorenes Kätzchen verzweifelt in einem schäumenden Meer schwamm. Ich zog es aus dem Wasser, wie Nessel es getan hatte, und trug es zu dem Wagen, dem Bett und dem Kissen. Ich versprach ihm, dass es in Sicherheit sei, und fühlte, wie seine Angst ein wenig nachließ. Doch selbst im Traum erkannte mich Dick. »Du hast mich gezwungen!«, schrie das Kätzchen plötzlich. »Du hast mich wieder auf ein Boot gezwungen!«
Zorn und Trotz hatte ich erwartet, oder nach diesen Worten sogar einen Angriff, doch was ich erhielt, war weit schlimmer. Er weinte. Das Kätzchen weinte untröstlich mit der Stimme eines kleinen Kindes. Überdeutlich fühlte ich seine Enttäuschung darüber, dass ich ihn derart verraten hatte. Er hatte mir vertraut. Ich hob das Kätzchen hoch und hielt es in den Armen, doch es weinte weiter, und ich konnte es nicht trösten, denn ich war der Grund für sein Leiden.
Nessel erwartete ich nicht. Es war noch nicht Nacht, und ich bezweifelte, dass sie gerade schlief, und irgendwie war ich immer davon ausgegangen, dass sie die Gabe nur im Schlaf nutzen konnte. Eine dumme Annahme, doch so war es nun einmal. Während ich also da saß und die winzige Kreatur in den Armen wiegte, die Dick war, fühlte ich plötzlich Nessels Gegenwart neben mir.
Gib ihn mir
, sagte sie im Tonfall einer Frau, die der Unfähigkeit des Mannes überdrüssig war. Ich verschmolz mit dem Hintergrund seines Traums und fühlte, wie meine Anspannung schwand, je weiter ich mich von ihm zurückzog. Es schmerzte mich, dass Dick meine Gegenwart als schlimm empfand, doch ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen.
Einige Zeit später fand ich mich am Fuß des geschmolzenen Turms wieder. Der Ort kam mir einsam und verlassen vor. Die toten Dornsträucher bedeckten noch immer die steilen Hänge, und das einzige Geräusch war der Wind in ihren Ästen. Ich wartete.
Nessel kam.
Warum bist du hierher gekommen?
, fragte sie und deutete auf die öde Landschaft um uns herum.
Es kam mir angemessen vor
, erwiderte ich entmutigt.
Nessel schnaufte verächtlich und verwandelte die toten Dornensträucher mit einer Geste in saftiges grünes Sommergras, während der Turm zu einem Ring aus Steinen wurde, über die sich blühende Ranken wanden. Nessel setzte sich auf einen von der Sonne erwärmten Stein, schüttelte ihren Rock über den nackten Füßen aus und fragte:
Bist du immer so dramatisch ?
Vermutlich ja.
Es muss sehr anstrengend sein, wenn du ständig um einen bist. Du bist der zweitemotionalste Mann, den ich kenne.
Und wer ist der emotionalste ?
Mein Vater. Er ist gestern wieder zurückgekommen.
Ich schnappte nach Luft und versuchte, so beiläufig wie möglich zu fragen:
Und?
Und er war in Bocksburg. Viel mehr hat er uns nicht erzählt. Er sieht aus, als wäre er in kürzester Zeit um zehn Jahre gealtert, doch dann wieder ertappe ich ihn dabei, wie er durch den Raum blickt und lächelt. Trotz seiner vernebelten Augen starrt er mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. Mutter sagt, sie hätte das Gefiihl, als würde er ihr ständig Lebewohl wünschen. Ergeht zu ihr und legt die Arme um sie, als hätte er Angst, sie könne ihm jeden Augenblick entrissen werden. Ich kann nur schwer beschreiben, wie er sich verhält. Er erweckt den Eindruck von
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