Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
zurückgekommen.« Um sie herum blühten Blumen, und eine winzige Biene summte von einer zur anderen auf der Suche nach Nektar.
Langsam arbeitete ich mich durch Nessels Worte. »Er hat das Kerzengeld gestohlen, um Weiterreisen zu können?« Ich hielt immer weniger von Flink.
»Es war nicht ... Es war nicht wirklich >Stehlen<. Er hat immer bei den Bienenstöcken geholfen. Und er hat es gebraucht!«
Langsam schüttelte ich den Kopf. Es enttäuschte mich, dass sie noch immer nach Entschuldigungen für ihn suchte. Andererseits ich hatte nie einen Bruder gehabt. Vielleicht war dieses Verhalten unter Geschwistern nur natürlich.
»Wirst du mir nicht helfen?«, fragte sie herzerweichend, als mein Schweigen andauerte.
»Ich kann nicht«, antwortete ich hilflos. »Ich kann nicht.«
»Warum?«
»Wie könnte ich?« Ich befand mich nun vollständig in ihrem Traum. Deutlich spürte ich das Gras unter meinen Füßen. Ein Frühlingstag in den Hügeln umgab mich. Die Biene summte an meinem Ohr vorbei. Ich wusste, dass mein Albtraum noch immer hinter mir lauerte. Wenn ich auch nur zwei Schritte zurück machen würde, wäre ich wieder auf jenem tückischen Hang.
»Sprich für mich mit Papa. Sag ihm, dass es nicht seine Schuld war, dass Flink weggelaufen ist.«
»Ich kann nicht mit deinem Vater sprechen. Ich bin weit, weit weg. Nur in unseren Träumen können wir so einfach eine solche Entfernung überbrücken.«
»Kannst du ihn in seinen Träumen nicht besuchen wie mich in meinen? Kannst du nicht dort mit ihm sprechen?«
»Nein, das kann ich nicht.« Vor langer Zeit hatte mein Vater Burrich vor allen Gabenkundigen abgeschottet. Burrich selbst hatte mir das erzählt. Chivalric war in der Lage gewesen, Kraft für den Gabengebrauch aus ihm zu ziehen, und ihr Band bedeutete, dass Chivalric durch ihn anfällig für die Angriffe anderer Gabenkundiger war. Ich fragte mich, ob das wohl hieß, dass Burrich an irgendeinem Punkt selbst einmal über ein gewisses Maß an Gabe verfügt hatte. Oder bedeutete es lediglich, dass sich die beiden Männer ungewöhnlich nahe gestanden hatten?
»Warum nicht? Du kommst doch auch in meine Träume. Und ihr wart früher einmal Freunde; das hast du selbst gesagt. Bitte. Er darf so nicht weitermachen. Das bringt ihn um. Und meine Mutter«, fügte sie leise hinzu. »Ich denke, das schuldest du ihm.«
Eine Biene von Nessels Blumen summte vor meinem Gesicht vorbei, und ich schlug danach. Ich beschloss, diesen Kontakt rasch zu beenden. Nessel zog viel zu viele Schlussfolgerungen über ihren Vater und mich. »Ich kann deinen Vater in seinen Träumen nicht besuchen, Nessel. Etwas kann ich allerdings doch tun. Ich könnte mit jemandem reden, jemandem, der Flink finden und ihn davon überzeugen könnte, wieder nach Hause zurückzukehren.« Noch während ich diese Worte sprach, verließ mich der Mut. So lästig Flink auch sein mochte, ich wusste, was es für den Jungen bedeuten würde, wieder zu Burrich zurückgeschickt zu werden. Ich verhärtete mein Herz. Das war nicht wirklich mein Problem. Flink war Burrichs Sohn, und diese Angelegenheit mussten die beiden unter sich ausmachen.
»Dann weißt du, wo Flink ist?«, fragte Nessel. »Du hast ihn gesehen? Geht es ihm gut? Ist er in Sicherheit? Tausend Mal habe ich an ihn gedacht, so jung und so allein draußen in der Welt. Ich hätte mich von ihm nie dazu überreden lassen dürfen! Erzähl mir von ihm.«
»Es geht ihm gut«, erwiderte ich knapp. Die Biene summte wieder an meinem Ohr vorbei. Ich spürte, wie sie sich auf meinen Nacken hockte. Ich versuchte, sie zu vertreiben, doch einen Augenblick später wurde ich von dem Gewicht eines Tiers von beachtlicher Größe auf meinem Rücken niedergedrückt. Ich schrie und kämpfte, aber bevor ich auch nur Luft holen konnte, hing ich in den Kiefern des Drachen. Er schüttelte mich, doch nicht um mich zu töten, sondern um mich zur Vorsicht zu gemahnen. So hörte ich auf, mich zu wehren und ließ mich hängen. Seine Zähne hatten mich am Nacken gepackt, drangen jedoch nicht ins Fleisch, sondern lähmten mich nur.
Als Nessel entrüstet aufsprang und nach mir griff, hob der Drache mich höher. Ich baumelte über Nessel und wurde dann über den Abgrund aus meinem Albtraum geschwenkt.
»Ah-ah-ah«, warnte der Drache uns beide. »Leiste Widerstand, und ich werde ihn fallen lassen. Wölfe fliegen nicht.« Seine Worte kamen weder aus seinem Mund noch aus seiner Kehle, sondern drangen in meine Gedanken.
Nessel erstarrte.
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