Die 39 Zeichen 06 - Gefahr am Ende der Welt
Bord.
Neuntes Kapitel
»Setz dich, Amy«, sagte Isabel und deutete auf eine lange gepolsterte Bank am Heck des Schnellbootes. Sie trug ein lässiges gestreiftes T-Shirt, adrette weiße Shorts und weiße Turnschuhe. »Wir machen eine kurze Hafentour und dann zeige ich dir noch eine herrliche Bucht. In einer Dreiviertelstunde bist du zurück. Versprochen!«
»Vielleicht ist es …« Amys Worte gingen im Röhren des Motors unter. Als das Horn der Fähre ertönte, hielt Amy sich die Ohren zu.
»Ups, ’tschuldigung!« Isabel lachte, steuerte vom Schiff weg und ließ das Boot über dessen Kielwasser hüpfen. Die Wellen klatschten gegen die Seitenwände. »Machen wir, dass wir hier wegkommen. Keine Sorge, Amy. Ich kann hervorragend Schnellboot fahren.«
»Mutter besitzt bei unserem Anwesen auf den Bahamas ein Boot«, brüllte Ian Amy ins Ohr. »Sie hat auch schon Rennen gefahren. Also kein Anlass zur Sorge.«
In Amys Kopf hallte Dans Imitation von Ians britischem Akzent und seiner steifen Wortwahl wider. Sie wünschte, er wäre hier und würde seine Witze machen. Hauptsache, sie wurde die Angst los, die ihr wie ein Stein im Magen lag.
Vor der verbissenen Irina und den bedrohlichen Holts hatte sie sich schon immer gefürchtet, aber diese neue Form der Gemeinheit
war irgendwie schwer zu fassen. Isabel sah aus wie ein Fotomodell. Ihre Augen sprühten vor Lebenslust, und ihr Lächeln war großzügig und freundlich. Sie war eine der schönsten Frauen, die Amy je gesehen hatte. Da saß sie, hoch oben auf dem Kapitänssitz, und ließ die Füße mit den weißen Turnschuhen lustig baumeln. Diese Frau sollte gefährlich sein? Das schien Amy fast unmöglich. Wieder so eine Lüge, typisch für Irina.
Sie hatten nun alle Hindernisse hinter sich gelassen, das Boot flog nur so über das Wasser und Amys Zähne schlugen aufeinander. Sie spürte, wie sich der Bug aus dem Wasser hob. Mit einer Geschwindigkeit, die Amy in Angst und Schrecken versetzte, rasten sie durch den Hafen.
»So ist es schon besser!«, brüllte Isabel. Als sie sich zu ihnen umdrehte, leuchteten ihre Augen begeistert. »Ist das nicht einfach super?«
»SUPER!«, brüllte Ian, doch Amy sah, dass er sich verstohlen an der Reling festklammerte.
Als sie in den tieferen Hafenbereich kamen, hüpfte Amy unsanft auf ihrer Bank auf und ab und hatte Mühe, sich darauf zu halten. Der Wind blies ihr die Haare ins Gesicht.
Als sie schon das Gefühl hatte, dass die Knochen in ihrem Körper pulverisierten, drosselte Isabel endlich das Tempo und steuerte eine wunderschöne Bucht an. Amy sah einen weißen Sandstrand vor sich liegen, an dem nur eine Handvoll Leute lagen. Vereinzelt waren auch einige Schwimmer zu erkennen.
Die junge Cahill entspannte sich. Sie hatte in ihrer Angst gedacht, Isabel könnte sie an einen verlassenen Ort bringen oder irgendwo auf hoher See aussetzen. Aber hier konnte sie im Notfall von Bord springen und an Land schwimmen.
Das Boot schaukelte sanft auf den Wellen. Isabel kam herüber und nahm Ian und Amy gegenüber Platz. Sie ergriff von beiden je eine Hand.
»Also, ihr beiden«, sagte sie. »Schluss mit der Zankerei. Ihr seid hier, um euch zu vertragen.«
Amy sah sie ungläubig an. Zankerei ? Mutter Kabra hatte offenbar keine Ahnung von den mörderischen Tendenzen ihres Sohnes. Sie zog die Hand zurück. »Ich bin nicht hier, um mich mit Ian zu vertragen«, erklärte sie entschieden. Sie war erleichtert, dass ihre Stimme so fest klang. »Ich bin hier, weil Sie gesagt haben, dass meine Eltern umgebracht wurden.«
»Du kommst wohl lieber gleich zur Sache?« Isabel ließ Ians Hand los. »Das gefällt mir! Na gut. Ich werde dir etwas anvertrauen und hoffe, dass du sorgsam damit umgehst. Ich bin nicht nur nach Australien gekommen, um meine geliebten Kinder abzuholen.« Isabel hielt kurz inne. »Im Familienzweig der Lucians gibt es einen Maulwurf. Wir glauben, dass er schon seit einer ganzen Weile aktiv ist und uns ständig behindert hat.«
Natalja, dachte Amy erschrocken. Sie hatte Amy und Dan nach Russland geführt. Sie war eine Lucian, hatte ihnen aber geholfen, ihren letzten Hinweis zu finden.
»Wir haben uns gefragt, woher sie die Informationen und das dazu nötige Geld bekommen. Dann ist es uns klar geworden. Die Madrigals. Einer von uns hat sich ihnen angeschlossen. «
Amy konnte es nicht fassen. Wenn Isabel wirklich von Natalja sprach, so lag sie ganz sicher daneben.
»Was hat das alles mit mir zu tun?«, fragte Amy.
»Ich glaube –
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