Die 4 Frau
Messing.
Ein dunkelhäutiger Junge von ungefähr zwölf Jahren öffnete und begrüßte mich mit den Worten: »Guten Tag, Frau Polizistin!«
»Du bist Eddie, nicht wahr?«
»
Ready-Eddie
«, bestätigte er grinsend. »Woher haben Sie das gewusst?«
»Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis«, verriet ich ihm.
»Das ist gut, Sie sind ja schließlich bei der Polizei.«
Ein vielstimmiges Hurra ertönte, als ich die »Messe« betrat, einen großen, luftigen Speisesaal mit Fenstern zum Highway.
Carolee umarmte mich und bot mir den Stuhl am Kopfende des Tisches an. »Das ist der Platz für die Ehrengäste«, sagte sie. Allison sicherte sich sogleich den Stuhl zu meiner Linken, während Fern, ein kleines rothaariges Mädchen, sich den Platz rechts von mir erkämpfte, und ich fühlte mich sofort willkommen und wie zu Hause in dieser großen »Familie«.
Schüsseln mit Spaghetti und ein großer Salat mit Essig-Öl-Dressing machten die Runde um den Tisch, und Baguettestü-cke flogen hin und her, während die Kinder mich mit Fragen und Rätselaufgaben bombardierten, die ich mehr oder weniger schlagfertig beantwortete.
»Wenn ich groß bin«, flüsterte Ali, »will ich genauso werden wie du.«
»Weißt du, was
ich
will? Ich will, dass du genauso wirst wie
du
, wenn du groß bist.«
Carolee klatschte in die Hände und lachte fröhlich.
»Jetzt gönnt Lindsay doch mal eine Pause«, sagte sie. »Lasst die arme Frau in Ruhe essen. Sie ist unser Gast – und nicht etwas, was ihr zusammen mir eurem Essen verschlingen könnt.«
Als sie aufstand, um eine Literflasche Cola von der Anrichte zu holen, legte Carolee mir die Hand auf die Schulter und beugte sich zu mir herab. »Macht es dir auch nichts aus?«, flüsterte sie. »Sie lieben dich einfach.«
»Ich liebe sie ebenfalls.«
Als der Tisch abgeräumt war und die Kinder nach oben gegangen waren, um ihre Schulaufgaben zu machen, setzten Carolee und ich uns mit unserem Kaffee auf die mit Fliegengitter eingefasste Veranda mit Blick auf den Schulhof. Wir machten es uns in zwei Schaukelstühlen bequem und lauschten dem Gesang der Grillen in der hereinbrechenden Dämmerung. Es war gut, eine Freundin in der Stadt zu haben, und an diesem Abend fühlte ich mich Carolee ganz besonders nahe.
»Gibt's was Neues über den Kerl, der auf Cats Haus geschossen hat?«, fragte Carolee. Sie klang besorgt.
»Nein. Aber du erinnerst dich doch an den Typen, mit dem wir diese unangenehme Begegnung im Cormorant hatten?«
»Dennis Agnew?«
»Genau. Er hat mich wieder belästigt, Carolee. Und der Chief macht kein Geheimnis daraus, dass er Agnew wegen der Morde verdächtigt.«
Carolee wirkte überrascht, ja geschockt. »Wirklich? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Ich meine, er ist ein Kotzbrocken, keine Frage«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Aber als Mörder kann ich ihn mir nicht vorstellen.«
»Genau das Gleiche haben sie damals über Jeffrey Dahmer gesagt.« Ich lachte.
Dann schwieg ich und trommelte mit den Fingern auf der Armlehne des Stuhls herum, während Carolee die Arme vor der Brust verschränkte. Offenbar hingen wir beide unseren Gedanken über die Mörder nach, die eventuell schon wieder irgendwo auf der Lauer lagen.
»Es ist schön ruhig hier, nicht wahr?«, sagte Carolee irgendwann.
»Erstaunlich. Ich find's wunderbar.«
»Seht nur zu, dass ihr diesen Irren so schnell wie möglich schnappt, ja?«
»Carolee, wenn dir je irgendwas nicht ganz geheuer vorkommt – auch wenn du meinst, dass du dir nur was einbildest –, ruf sofort die neun-eins-eins an. Und dann mich.«
»Klar, mach ich, danke.« Carolee schwieg einige Sekunden und sagte dann: »Früher oder später werden sie doch alle geschnappt, nicht wahr, Lindsay?«
»So gut wie immer«, antwortete ich, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Die wirklich Gerissenen wurden nicht nur nie geschnappt, sie fielen noch nicht einmal auf.
126
Ich hatte eine unruhige Nacht. In wilden Albträumen wurde ich aus fahrenden Autos heraus beschos sen, stolperte über ausgepeitschte Leichen und wurde von namenlosen, gesichtslosen Killern gejagt. Als ich aufwachte, war der Himmel trüb und grau; einer dieser Tage, an denen man am liebsten im Bett bleiben würde.
Aber Martha und ich brauchten Bewegung, und so schlüpfte ich in meinen blauen Jogginganzug, steckte meine Waffe ins Schulterholster und das Handy in die Jackentasche, und dann machten Martha und ich uns auf in Richtung Strand.
Von Westen zogen
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