Die 6. Geisel - Thriller
bin bei dir. Der Abend ist noch jung. Mehr oder weniger.«
Und so gab ich endlich nach. Ich platzte heraus mit der Geschichte meines todpeinlichen Trips nach Washington, und ich schilderte, wie sehr mir die extremen Stimmungsumschwünge in meiner Beziehung mit Joe zugesetzt hatten. »Es tut wirklich verdammt weh, Cindy. Aber ich habe das Richtige getan.«
»Es ist nicht bloß, weil du in deinen Gefühlen verletzt warst, als er nicht zu Hause war und du dieses Mädchen bei ihm angetroffen hast?«
»Nein. Wo denkst du hin?«
»O Gott, Linds, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Leg dich einfach hin und mach die Augen zu.«
Cindy schob mich sanft auf die Seite und steckte mir ein Kissen unter den Kopf. Gleich darauf senkte sich eine Decke auf mich herab. Das Licht ging aus, und ich spürte, wie Cindy die Decke zurechtzupfte.
»Es ist nicht vorbei, Linds. Glaub mir. Es ist nicht vorbei.«
»Auch du liegst dann und wann mal schief«, murmelte ich.
»Wollen wir wetten?« Cindy küsste mich auf die Wange. Und dann sackte ich weg und fiel in einen wirren Traum. Erst die Sonne, die durch Cindys vorhanglose Fenster hereinschien, weckte mich aus einem todesähnlichen Schlaf.
Ich setzte mich mühsam auf, schwang die Beine von der Couch und fand einen Zettel von Cindy auf dem Couchtisch. Sie sei nur rasch Kaffee und Brötchen holen, schrieb sie.
Und dann war ich mit einem Schlag hellwach.
Jacobi und Macklin hatten für heute Morgen acht Uhr eine Besprechung angesetzt. Sämtliche Cops, die an der Tyler-Ricci-Ermittlung
beteiligt waren, würden dort sein - nur ich nicht.
Ich kritzelte Cindy eine Nachricht auf einen Zettel, schlüpfte in meine Schuhe und stürzte zur Tür hinaus.
42
Jacobi verdrehte die Augen, als ich mich an ihm vorbeischob und auf einem Stuhl in der hintersten Ecke des Bereitschaftsraums Platz nahm. Lieutenant Macklin fasste den bisherigen Verlauf der Besprechung zusammen, nicht ohne mich zuvor mit einem strengen Blick zu bedenken. Da noch keinerlei Hinweise auf den Verbleib von Madison Tyler und Paola Ricci vorlagen, erhielten wir den Auftrag, registrierte Sexualstraftäter zu vernehmen.
»Patrick Calvin«, las ich von unserer Liste ab, als Conklin und ich in den Einsatzwagen stiegen. »Vorbestrafter Sextäter, hat erst vor Kurzem eine Gefängnisstrafe wegen sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter abgesessen. Sie war sechs, als es passierte.«
Conklin ließ den Wagen an. »Das ist einfach unbegreiflich, wozu solche Schweine fähig sind. Und weißt du was - ich will es gar nicht begreifen.«
Calvin wohnte in einem U-förmigen Apartmentblock mit einundzwanzig Wohnungen an der Ecke Palm und Euclid, am Rand des Jordan Park - ungefähr zweieinhalb Kilometer von der Straße entfernt, wo Madison Tyler gelebt und gespielt hatte. Am Straßenrand parkte ein blauer Toyota Corolla, der auf Calvin zugelassen war.
Ich roch gebratenen Speck, als wir den offenen Vorhof überquerten, die Außentreppe hinaufstiegen und an Calvins in aggressivem Rot gestrichene Wohnungstür klopften.
Die Tür ging auf, und ein junger Weißer mit zerzausten Haaren stand vor uns. Er war höchstens eins sechzig groß und trug einen karierten Pyjama, dazu weiße Socken.
Er sah aus wie fünfzehn, und ich hätte ihn um ein Haar gefragt: »Ist dein Vater zu Hause?« Aber der ungesunde graue Teint und die Gefängnis-Tattoos auf seinen Fingerknöcheln
verrieten, dass Pat Calvin unser Strafvollzugssystem aus eigener Erfahrung kannte.
»Patrick Calvin?«, sagte ich und zeigte ihm meine Dienstmarke.
»Was wollen Sie?«
»Ich bin Sergeant Boxer, und das ist Inspector Conklin«, sagte ich. »Wir haben ein paar Fragen an Sie. Was dagegen, wenn wir reinkommen?«
»Ja, da hab ich was dagegen. Was wollen Sie?«
Conklin hat eine lockere, ungezwungene Art, um die ich ihn offen beneide. Ich hatte erlebt, wie er psychopathische Mörder mit ausgesuchter Freundlichkeit befragt hatte - ein Musterbeispiel von einem »guten Cop«. Und er hatte sich ja auch um diesen armen Kater am Tatort des Alonzo-Mordes gekümmert.
»Tut uns leid, Mr. Calvin«, sagte Conklin jetzt. »Ich weiß, es ist Sonntagmorgen und noch ziemlich früh, aber ein Kind wird vermisst, und wir haben nicht allzu viel Zeit.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Sie sollten sich daran gewöhnen, Mr. Calvin«, warf ich ein. »Sie sind nur auf Bewährung draußen …«
»Sie wollen meine Wohnung durchsuchen, ist es das?«, rief Calvin. »Verdammt, das hier ist’n freies
Weitere Kostenlose Bücher