Die Abenteuer der Silvester-Nacht
Freunde ihn verlassen,
durch eine entlegene Straße, die nach seiner Wohnung führte.
Die Morgenröte war hoch heraufgestiegen, der Diener stieß
die Fackel auf dem Steinpflaster aus, aber in den aufsprühen-
den Funken stand plötzlich eine seltsame Figur vor Erasmus,
ein langer dürrer Mann mit spitzer Habichtsnase, funkelnden
Augen, hämisch verzogenem Munde, im feuerroten Rock mit
strahlenden Stahlknöpfen. Der lachte und rief mit unange-
nehm gellender Stimme: „Ho, ho! — Ihr seid wohl aus einem
alten Bilderbuch herausgestiegen mit Euerm Mantel, Euerm
geschlitzten Wams und Euerm Federnbarett. — Ihr seht recht
schnackisch aus, Herr Erasmus, aber wollt Ihr denn auf der
Straße der Leute Spott werden? Kehrt doch nur ruhig zurück
in Euern Pergamentband.“ — „Was geht Euch meine Kleidung
an“, sprach Erasmus verdrießlich und wollte, den roten Kerl
beiseite schiebend, vorübergehen, der schrie ihm nach: „Nun,
nun — eilt nur nicht so, zur Giulietta könnt Ihr doch jetzt
gleich nicht hin.“ Erasmus drehte sich rasch um. „Was sprecht
Ihr von Giulietta“, rief er mit wilder Stimme, den roten Kerl
bei der Brust packend. Der wandte sich aber pfeilschnell und
war, ehe sich’s Erasmus versah, verschwunden. Erasmus blieb
ganz verblüfft stehen mit dem Stahlknopf in der Hand, den er
dem Roten abgerissen. „Das war der Wunderdoktor, Signor
Dapertutto; was der nur von Euch wollte?“ sprach der Diener,
aber dem Erasmus wandelte ein Grauen an, er eilte sein Haus
zu erreichen. —
Giulietta empfing den Erasmus mit all der wunderbaren
Anmut und Freundlichkeit, die ihr eigen. Der wahnsinnigen
Leidenschaft, die den Erasmus entflammt, setzte sie ein mil-
des, gleichmütiges Betragen entgegen. Nur dann und wann
funkelten ihre Augen höher auf, und Erasmus fühlte, wie leise
Schauer aus dem Innersten heraus ihn durchbebten, wenn sie
manchmal ihn mit einem recht seltsamen Blicke traf. Nie
sagte sie ihm, daß sie ihn liebe, aber ihre ganze Art und Weise
mit ihm umzugehen, ließ es ihn deutlich ahnen, und so kam
es, daß immer festere und festere Bande ihn umstrickten. Ein
wahres Sonnenleben ging ihm auf; die Freunde sah er selten,
da Giulietta ihn in andere fremde Gesellschaft eingeführt. —
Einst begegnete ihm Friedrich, der ließ ihn nicht los, und
als der Erasmus durch manche Erinnerung an sein Vaterland
und an sein Haus recht mild und weich geworden, da sagte
Friedrich: „Weißt du wohl, Spikher, daß du in recht gefährli-
che Bekanntschaft geraten bist? Du mußt es doch wohl schon
gemerkt haben, daß die schöne Giulietta eine der schlauesten
Courtisanen ist, die es je gab. Man trägt sich dabei mit aller-
lei geheimnisvollen, seltsamen Geschichten, die sie in gar be-
sonderm Lichte erscheinen lassen. Daß sie über die Menschen,
wenn sie will, eine unwiderstehliche Macht übt und sie in
unauflösliche Bande verstrickt, seh’ ich an dir, du bist ganz
und gar verändert, du bist ganz der verführerischen Giulietta
hingegeben, du denkst nicht mehr an deine liebe fromme
Hausfrau.“ — Da hielt Erasmus beide Hände vors Gesicht,
er schluchzte laut, er rief den Namen seiner Frau. Friedrich
merkte wohl, wie ein innerer harter Kampf begonnen. „Spik-
her,“ fuhr er fort, „laß uns schnell abreisen.“ „Ja, Friedrich,“
rief Spikher heftig, „du hast recht. Ich weiß nicht, wie mich
so finstre gräßliche Ahnungen plötzlich ergreifen, — ich muß
fort, noch heute fort.“ — Beide Freunde eilten über die Straße,
quer vorüber schritt Signor Dapertutto, der lachte dem Eras-
mus ins Gesicht und rief: „Ach, eilt doch, eilt doch nur schnell,
Giulietta wartet schon, das Herz voll Sehnsucht, die Augen
voll Tränen. — Ach, eilt doch, eilt doch!“ Erasmus wurde wie
vom Blitz getroffen. „Dieser Kerl,“ sprach Friedrich, „dieser
Ciarlatano ist mir im Grunde der Seele zuwider, und daß der
bei Giulietta aus- und eingeht und ihr seine Wunderessenzen
verkauft“ — „Was!“ rief Erasmus, „dieser abscheuliche Kerl
bei Giulietta — bei Giulietta?“ — „Wo bleibt Ihr aber auch
so lange, alles wartet auf Euch, habt Ihr denn gar nicht an
mich gedacht?“ so rief eine sanfte Stimme vom Balkon herab.
Es war Giulietta, vor deren Hause die Freunde, ohne es be-
merkt zu haben, standen. Mit einem Sprunge war Erasmus
im Hause. „Der ist nun einmal hin und nicht mehr zu retten“,
sprach Friedrich leise und schlich über die Straße
Weitere Kostenlose Bücher