Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Taborer Bahnhof ein, und bevor Schwejk in Begleitung des Schaffners aus dem Zug trat, meldete er, wie sichs gebührt, Oberleutnant Lukasch: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß man mich zum Stationsvorstand bringt.«
Oberleutnant Lukasch antwortete nicht. Eine vollständige Apathie allem gegenüber hatte ihn erfaßt. Wie ein Blitz fuhr es ihm durch den Kopf, daß es am besten sei, auf alles zu pfeifen. Auf Schwejk genauso wie auf den kahlköpfigen Generalmajor gegenüber. Ruhig sitzen, in Budweis aus dem Zug steigen, sich in der Kaserne melden und mit einem Marschbataillon an die Front fahren. An der Front sich gegebenenfalls erschlagen lassen und diese elende Welt loswerden, in der sich eine Kanaille herumtreibt wie dieser Schwejk.
Als der Zug sich in Bewegung setzte, schaute der Oberleutnant aus dem Fenster. Er sah Schwejk auf dem Perron stehen, in ein ernstes Gespräch mit dem Stationsvorstand vertieft. Schwejk war von einer Menschengruppe umgeben, in der sich auch einige Eisenbahnbeamte in Uniform befanden.
Oberleutnant Lukasch atmete auf. Es war kein Seufzer des Bedauerns. Ihm war leicht ums Herz, weil Schwejk auf dem Perron geblieben war. Sogar der kahlköpfige Generalmajor schien ihm kein so widerliches Scheusal mehr zu sein.
Der Zug keuchte schon längst Budweis zu, aber auf dem Perron wurden der Leute um Schwejk herum nicht weniger.
|244| Schwejk sprach von seiner Unschuld und überzeugte die Menge so, daß eine Frau sich äußerte: »Schon wieder sekkiert man hier einen Soldaten.«
Die Menge schloß sich dieser Meinung an, und ein Herr wandte sich an den Stationsvorstand mit der Erklärung, daß er für Schwejk die zwanzig Kronen Strafe bezahlen werde. Er sei überzeugt, daß der Soldat es nicht getan habe.
»Schaut euch ihn an«, folgerte er aus dem unschuldigen Gesichtsausdruck Schwejks, der, zu der Menge gewandt, erklärte: »Ich bin unschuldig, Leutl.«
Dann tauchte ein Gendarmeriewachtmeister auf, zog einen Bürger aus der Menge, verhaftete ihn und führte ihn ab mit den Worten: »Dafür wern Sie sich verantworten, ich wer Ihnen zeigen, die Leute aufwiegeln und ihnen sagen, daß niemand verlangen kann, daß Österreich gewinnt, wenn man so mit den Soldaten umgeht.«
Der unglückliche Bürger schwang sich zu nichts anderem auf als zu der aufrichtigen Behauptung, er sei doch ein Fleischermeister vom Alten Tor und habe es nicht so gemeint.
Inzwischen bezahlte der gute Mann, der an Schwejks Unschuld glaubte, für diesen in der Kanzlei die zwanzig Kronen und führte ihn in die Restauration dritter Klasse, wo er ihn mit Bier bewirtete; und als er feststellte, daß sich sämtliche Legitimationen sowie die Fahrkarte Schwejks bei Oberleutnant Lukasch befanden, schenkte er ihm großmütig einen Fünfer für eine Fahrkarte und weitere Ausgaben.
Als er ging, sagte er vertraulich zu Schwejk: »Also, lieber Soldat, wie gesagt, bis Sie in Rußland in Gefangenschaft sein wern, so grüßen Sie mir den Bräuer Zeman in Zdolbunow. Sie hams doch aufgeschrieben, wie ich heiße. Sein Sie nur gescheit, damit Sie nicht lang an der Front sind.«
»Da müssen Sie keine Angst haben«, sagte Schwejk, »es is immer interessant, eine fremde Gegend umsonst kennenzulernen.«
Schwejk blieb allein am Tisch sitzen, und während er still den Fünfer des edlen Wohltäters vertrank, erzählten einander auf dem Perron die Leute, die bei der Unterredung Schwejks |245| mit dem Stationsvorstand nicht zugegen gewesen waren und die Menschenmenge nur von weitem gesehen hatten, man hätte einen Spion gefangen, der den Bahnhof photographiert habe, was eine Frau jedoch mit der Behauptung widerlegte, es handle sich um keinen Spion, sondern sie habe gehört, wie ein Dragoner einen Offizier beim Damenklosett versäbelt habe, weil der Offizier der Liebsten des Dragoners, die diesen begleitet habe, nachgekrochen sei.
Diesen abenteuerlichen Kombinationen, die die Kriegsnervosität charakterisierten, tat die Gendarmerie Einhalt, indem sie den Perron räumte.
Und Schwejk trank still weiter, wobei er zärtlich des Oberleutnants gedachte. Was wird der wohl machen, bis er nach Budweis kommt und im ganzen Zug seinen Diener nicht findet?
Vor der Ankunft des Personenzuges füllte sich das Restaurant dritter Klasse mit Soldaten und Zivilisten. Vorwiegend waren es Soldaten verschiedener Regimenter, Truppenteile und verschiedener Nationen. Der Kriegssturm hatte sie in die Taborer Lazarette verweht, und sie fuhren jetzt neuerdings ins Feld, um
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