Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Dom als ein anderer. Als ein ihm selbst durch und durch Unverständlicher. Als wäre er gestorben, diesmal tatsächlich. Und wäre im Jenseits gelandet. Und die Menschen um ihn herum wären nur mehr Erinnerungen an die Menschen. Seine Frau weiß nichts von der Geliebten und nichts vom Lover. Der Lover weiß nichts von der Geliebten. Und die Geliebte weiß nichts vom Lover. Seine Kunden wissen gar nichts, und die Männer im Wickerl wissen nur, dass er einen Herzinfarkt gehabt habe.
»Sie, Joel, wissen nun als einziger alles. Was sagen Sie dazu?«
Nichts sagte ich dazu. Wir gingen unter den hohen Buchen. Die Stämme waren blank bis weit hinauf. Erst sehr hoch oben schlossen sich die entlaubten Äste und Zweige zu einem Dach, ein Stickwerk, durch das der Himmel schimmerte.
»Die Herrschaften, die sich an den Mittwochabenden im Wickerl mit Ihnen treffen, Joel, erwarten etwas von Ihnen«, fuhr er fort, nun drängend und auch ein wenig ängstlich, wie mir schien. »Und ich bin als letzter dazugestoßen, die anderen haben einen Vorsprung! Hat jeder Ihnen als einzigem sein Geheimnis preisgegeben? Ist es so?«
Man trifft sich nicht mit Joel Spazierer, Herr Manger – das hätte der Großwildjäger geantwortet, Gerhard Fries, 58, Unternehmer, Kabelherstellung –, hören Sie, man trifft sich nicht mit ihm . Man trifft sich. Das ist ein Unterschied! Und Florian, 53, (seinen Nachnamen weiß ich nicht), Kraftfahrer bei Senta-Trans Güterbeförderung GesmbH in Währing, ehemaliger Kettenraucher, ehemals schwer übergewichtig, hätte gesagt: Wir trinken Bier und spielen Karten, sonst ist nichts, jedenfalls nicht, dass ich wüsste, und das wüsste ich, aber ich weiß es nicht. Und Mihailo Moravac, 43, Verkäufer bei Netty & Prenn Computer-Handels-Gesellschaft in der Brigittenau, keiner Risikogruppe zuzurechnen: Wir erzählen Witze und essen etwas Kleines, und das ist es auch schon, und wir politisieren, aber keine Religion. Und Pezi Vogel, 78, pensionierter Handelsakademielehrer, Diabetiker und Hypotoniker: Wir politisieren, das trifft’s, und erwarten, dass jeder hie und da das Bier und die Achterln für die Runde bezahlt, und das tut auch jeder hie und da, aber mehr erwarten wir nicht von niemand, und auf der Straße verabschieden wir uns hinterher, und jeder geht, wohin er geht, und weiß nicht, wohin der andere geht. Und Wolfgang, 36, (auch seinen Nachnamen weiß ich nicht), Beamter bei der MA 45 Wiener Gewässer, mit 120 kg der Schwerste in der Runde: Wir erwarten von ihm, dass er manchmal beim Kartenspiel gewinnt und dass er manchmal einen Witz erzählt. Dr. Christof Dittl, Kardiologe, 60, hatte Herrn Manger bereits alles erklärt, in unserer Gegenwart sogar: Jeder von diesen Herren, hatte er mit feierlich angerührter Stimme gesagt, hat einen Herzinfarkt erlitten. Die Herren haben in der Reha dreimal in der Woche miteinander geturnt, und wenn sie im Fitnesssaal auf den Hometrainern gesessen sind, haben sie Erfahrungen mit ihren Beta-Blockern, mit ihren Blutgerinnungshemmern und den Blutdrucksenkern ausgetauscht, und sie haben ihre systolischen und diastolischen Werte, ihre Pulsfrequenzen und ihre Cholesterinwerte miteinander verglichen, HDL und LDL. Sie haben einander erzählt, wie es ist, mit dem Helikopter über die Stadt ins AKH geflogen oder mit Blaulicht durch die Stadt ins Donauspital gefahren zu werden. Oder wie es ist, wenn einem ein Zivi Nitroglyzerin in den Mund sprüht und dabei ›Scheiße!‹ sagt und man genau mitkriegt, was er damit meint. Und wie es ist, wenn man einen oder zwei Stents gesetzt bekommt oder wenn einem der Brustkorb aufgesägt und eine Vene aus dem Bein gezwickt und ein Bypass gelegt wird. Und sie haben einander erzählt, wie sie sich den Tod vorstellten. Und jetzt sind sie wieder auf dem Damm. – Und nicht viel hätte gefehlt, und die Herren hätten im Chor gerufen: Jawohl, wir sind wieder auf dem Damm! Wir erwarten nichts, und es wird nichts von uns erwartet, und wir erwarten von niemandem etwas! Deshalb treffen wir uns beim Wickerl in der Porzellangasse! – Und in die Runde verkündete Dr. Dittl, übergewichtig, reduzierter Raucher, Vater an Herzinfarkt gestorben, Onkel an Herzinfarkt gestorben, Schwester zwei Stents: Herr Dipl.-Tzt. Gert Manger, 41, ist zu uns gestoßen, weil ich ihm als sein Arzt empfohlen habe, sich nach seiner Reha einer solchen Gruppe anzuschließen. Und zum Schluss erklang wieder der Chor: Wir nehmen Sie auf, Herr Dipl.-Tzt. Manger, weil Ihr Arzt Sie uns
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