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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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den ich gern auch in mir gefühlt hätte.
    »Schöne Schuhe haben Sie«, sagte Manger.
    »Marc O’Polo«, sagte ich.
    »Blaue Wildlederschuhe mit roten Bändern! Ich würde mich das nicht trauen. Wissen Sie jetzt, was ich meine? Ich traue mich, parallel drei Liebesbeziehungen zu unterhalten, aber ich traue mich nicht, blaue Wildlederschuhe mit roten Bändern zu tragen. Das ist ein Urteil über einen Mann, das ist ein Urteil. Ich glaube, ich habe noch nie so schöne Schuhe gesehen. Ich wusste gar nicht, dass Marc O’Polo auch Schuhe hat. Ich habe ein paar Hemden von Marc O’Polo. Und ein Shirt oder zwei.«
    »Doch, doch, Marc O’Polo hat auch Schuhe«, sagte ich – sagte aber nicht, dass ich mich zusätzlich auch traute, Schuhe zu stehlen.
    »So schöne Schuhe«, rief er. »Gürtel weiß ich, dass Marc O’Polo anbietet, schöne Gürtel sogar.«
    »Und eben auch Schuhe.«
    »Sehr schön. Wirklich sehr, sehr schön.«
    »Ich könnte die Schnürsenkel gegen schwarze austauschen. Das wäre nicht so extravagant«, sagte ich.
    »Auf keinen Fall!«, rief er aus. »Tun Sie mir das nicht an!«
     

8
     
    Manger lud mich zu sich nach Hause zum Mittagessen ein. Er und seine Familie besaßen ein Häuschen mit einem Garten in Döbling. Der Eingang führte durch einen Rosenbogen aus verrostetem Eisen. Die Rosenstöcke waren zurückgeschnitten; auch an der Hauswand wuchsen Rosenranken an Spalieren empor. Über das Haus ragte eine Tanne, und in der Wiese stand ein Wolf – aus Gusseisen, wie Manger beruhigte.
    Seine Frau öffnete uns. Sie hatte wellige Haare und einen leicht schief stehenden Schneidezahn, sie sah wie eine Farmerin aus, das kam mir in den Sinn. Sie lachte mich freundlich an, ihre Hand schnellte mir entgegen, und es bestand kein Zweifel, dass sie mich erwartet hatte. Heute sei ihr freier Tag, sagte sie, und endlich lerne sie mich kennen. Sie trug Militärhosen und ein schlammfarbenes Jäckchen mit einer Menge Reißverschlüssen, um den Hals hatte sie ein rotes Cowboytuch mit weißen Punkten gewunden, in ihren Haaren war der Abdruck eines Hutes.
    Essen war vorbereitet, ein Wiener Suppentopf mit Schwein, Rind, Huhn, Gelben Rüben, Karotten, Sellerie, Lauch, Kartoffeln, Nudeln und Liebstöckelblättern (woher um diese Jahreszeit?), dazu Weizenbier und Waldmeisterlimonade. Wir schlüpften mitsamt Schuhen in monströse Filzpatschen, die wie Mäuse aus einem postatomaren japanischen Horrorfilm aussahen, und setzten uns in die Küche. Der Tisch hatte eine Schieferplatte in der Mitte, darauf stellte Frau Manger den Topf, und wir schöpften uns in Schüsseln. Das war alles so schnell gegangen, dass die Brille ihres Mannes noch vom Nebel draußen beschlagen war, als wir schon den Löffel in der Hand hielten. Annkathrin habe heute Unterricht bis in den Nachmittag hinein, sagte Frau Manger, als wüsste ich längst, dass Annkathrin ihre Tochter ist; sie esse in der Schule, außerdem sei sie Vegetarierin, sie halte es für »völlig absurd«, dass ein Tierarzt Tiere esse, und dass zwei Tierärzte Tiere essen, komme ihr wie ein Witz aus einer Show von Stermann und Grissemann vor. Frau Manger wahrte das Sie, nannte mich aber beim Vornamen. Ich durfte daraus schließen, dass sie mich für einen engen Kumpel ihres Mannes hielt; wogegen jedoch sprechen musste, dass er mich nicht duzte, sondern ebenfalls siezte, was sie sich wahrscheinlich damit erklärte, dass ich ein Kauz sei; und tatsächlich deuteten kleine Neckereien darauf hin, dass sie mich für einen solchen hielt. Manger hatte mir von seiner Frau nichts erzählt, außer dass er sie in der erwähnten Nacht wach geküsst und angelogen hatte, er sei mit uns Bier trinken gewesen, derweil er sich von einem klugen nigerianischen Hasen in den Arsch hatte ficken lassen. Sie habe sich in ihrer Arbeit auf die Bauernhöfe in der Umgebung spezialisiert (ich nahm an, was im Suppentopf schwamm, war Bakschisch), während er – auch das hatte er mir nicht erzählt – den großen Haufen Geld mit einer Tierklinik in der Innenstadt scheffle, wo er auf zwei Stockwerken ein Dutzend Angestellte unterhalte, fünf Kollegen und Personal in Gummihandschuhen und Beißschutz an den Unterarmen. Ihre Fingernägel waren bis auf die Kuppen heruntergeschnitten und hatten unsaubere Ränder, ihr Gesicht war ungeschminkt. Aber sie wirkte nobel – wegen ihrer langsamen Bewegungen, zum Beispiel, wenn sie mir Suppe nachschöpfte, und ihrer bedächtigen Art zu sprechen. Ich phantasierte, das Haus sei geerbt

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