Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
und wollen die Geschenke abholen.« Moma raufte sich die Haare vor Lachen, meine Mutter rutschte vom Sessel, und ich machte mir fast in die Hose. Auch Opa lachte. Er musste dabei vorsichtig sein, weil in seine Lungen nicht mehr viel Luft passte. Der einzige, der nicht eine Miene verzog, war mein Vater – und darüber mussten wir fast noch mehr lachen als über seinen kleinen Sketch.
Opa sagte: »Wie gut, dass wir dich haben.«
Oh, das waren die schönsten und aufregendsten Weihnachten, die ich je erlebt habe! Und das hauptsächlich wegen meines Vaters. Alle bemühten wir uns, ihm klarzumachen, wie vorteilhaft es für ihn wäre, bei uns zu bleiben. Und er bemühte sich, uns klarzumachen, wie vorteilhaft es für uns wäre, ihn bei uns aufzunehmen. Er polsterte die Ottomane mit Kissen aus, damit Opa wie ein König darauf saß; überall brannten Kerzen – die, wen wundert’s, ebenfalls er besorgt hatte; es roch nach Kuchen und Barackpálinka – seine Weihnachtsgeschenke –, und aus dem Radio drang leise Musik, und hätte jemand gesagt, mein Vater habe die Melodien speziell für uns beim Sender bestellt, ich hätte es selbstverständlich geglaubt, und nicht nur ich. Opa erzählte eine Geschichte von Jesus, dem zu Ehren, wie ich erfuhr, die Bürger Ungarns und der übrigen Welt an diesem Tag nicht zur Arbeit gehen mussten, weil er vor fast zweitausend Jahren geboren worden war. Eines Tages sei Jesus einem Mann begegnet, der ziemlich verrückt war. Der lief in der Gegend herum und brüllte die Leute an, er war nackt und verdreckt, und in der Nacht schlief er in Erdhöhlen. Manchmal tobte er so wild, schlug sich selber mit Steinen auf den Kopf, dass man ihn fesseln musste. Aber er riss sich los, und alle fürchteten sich vor ihm. Als Jesus des Weges kam, warf er sich weinend vor ihm auf den Boden und jammerte, er solle ihnen nichts tun. Ihnen? Wieso ihnen? Es war doch nur ein Mann. Ja, eben nicht! Es waren ein paar tausend. Die wohnten alle in diesem einen Mann. Es waren ein paar tausend Teufel, von denen war er besessen. Und diese Teufel hatten eine wahnsinnige Angst vor Jesus und baten ihn, er solle sie doch bitte nicht aus der Gegend vertreiben, weil sie hier so gern seien. Da waren Schweine in der Nähe, zweitausend Stück. Ob sie zum Beispiel in diese Schweine hineinfahren dürften, flehten die Teufel. Jesus sagte, ja, das dürfen sie. Da fuhren die Teufel aus dem Mann heraus und in die Schweine hinein, und die Schweine wurden so verrückt, wie der Mann vorher verrückt gewesen war, und sie rannten über die Wiese hinunter und in den See hinein und ertranken alle. Das sei eine Stelle aus dem Markusevangelium, sagte Opa – Markus 5,1–20. Mama war der Meinung, das sei eindeutig ein Verbrechen von Jesus gewesen, einfach so mir nichts, dir nichts zweitausend Schweine umzubringen, damit habe er eine ganze Kolchose ruiniert. Moma sagte, die seelische Gesundheit eines Mannes sollte auf jeden Fall zweitausend Schweine wert sein. Ich fragte, ob man das Schweinefleisch hinterher noch habe essen können, dann hätte man es verkaufen können, und der Schaden wäre nicht so groß gewesen. Moma gab mir recht, das sei eine gute Frage, sie glaube schon, dass man noch Schnitzel daraus hätte machen können. Mama beharrte: »Also, entweder steckten in den Schweinen zweitausend Teufel, dann war ihr Fleisch ungenießbar, oder es steckten keine Teufel in ihnen, dann war es ein Verbrechen, sie alle umzubringen, außerdem hat es zu der damaligen Zeit noch keine Kühlhäuser gegeben und die Gegend ist bekanntlich ziemlich heiß, also wäre ein Großteil des Fleisches auf jeden Fall verdorben, denn wer bitte soll in wenigen Tagen das Fleisch von zweitausend Schweinen essen!« Opa sagte, er verstehe die Geschichte so, dass neben oder hinter oder vor jedem Menschen mindestens ein Teufel stehe und gehe, manche Menschen seien regelrecht umstellt von Teufeln, dieser hier von zweitausend Teufeln, der arme, arme Mann. Er glaube aber nicht, dass die Teufel in dem Menschen steckten, nein, sie seien außerhalb von ihm. Wenn ein Mensch in sich selbst verschiedene Menschen sei, denke er, hätten es die Teufel schwer. Es sei wohl eher ein Geschenk des Himmels als der Hölle, wenn ein Mensch in sich viele Menschen sei. Er wisse, er drücke sich unklar aus, aber die Sache sei eben nicht klar. Er wolle sagen, wenn einer in sich selbst noch andere ist , mit denen er reden könne, solche, die er einst gewesen sei oder einst sein werde oder zur gleichen
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