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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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verbringen. Morgen sehen wir weiter«, sagte der Lama.
    »Diese Schnur muss nicht viel aushalten, oder?«, fragte Pema nach.
    »Nein, aber lang muss sie sein. Wir brauchen sie nur, um eins der Seile nach oben zu ziehen«, sagte Alex.
    »Vielleicht könnten wir sie flechten …«
    »Wie? Womit denn?«
    »Wir haben alle langes Haar. Wenn wir es abschneiden würden …«
    Alle starrten Pema an. Die Mädchen strichen sich über den Kopf und ließen die Finger durch ihr Haar gleiten, das ihnen bis zu den Hüften fiel. Es war noch nie mit einer Schere in Berührung gekommen, denn im Verbotenen Reich galt eine Frau nur als schön und weiblich, wenn sie lange Haare hatte. Junge Frauen, die noch nicht verheiratet waren, trugen ihr Haar offen und parfümierten es mit Moschus und Jasmin, verheiratete Frauen rieben es mit Mandelöl ein, flochten es zu aufwendigen Frisuren und schmückten es mit silbernen Spangen, Türkisen, Bernstein und Korallen. Nur Nonnen trugen den Kopf geschoren.
    »Vielleicht können wir von jeder ungefähr zwanzig dünne Zöpfe bekommen. Mal fünf, macht hundert Zöpfe. Sagen wir, jeder Zopf ist einen halben Meter lang, dann kämen wir auf fünfzig Meter. Möglicherweise kann ich sogar vierundzwanzig Zöpfe beisteuern, so hätten wir mehr als genug«, erklärte Pema.
    »Ich habe auch Haare«, meldete sich Nadia.
    »Ja, aber ziemlich kurze, ich glaube, das bringt nicht viel.«
    Eins der Mädchen fing zu weinen an. Das könnten sie doch nicht von ihr verlangen, schniefte sie, das sei zu viel. Pema setzte sich zu ihr und redete leise auf sie ein, das Haar sei doch nicht so wichtig, schließlich gehe es um ihr Leben und die Sicherheit des Königs; und es würde doch nachwachsen.
    »Und bis es wieder lang ist, wie soll ich denn unter die Leute gehen?«
    »Erhobenen Hauptes, immerhin hast du dazu beigetragen, unser Land vor der Skorpionsekte zu retten«, sagte Pema.
    Während der Prinz zusammen mit Alexander auf die Suche nach trockenen Zweigen, Wurzeln und Tierdung für das Lagerfeuer ging, untersuchte Tensing Nadias Schulter und erneuerte den Verband. Er sah sehr zufrieden aus: Die Schulter hatte zwar noch einen leichten Blaustich, aber Nadia konnte sie bewegen und hatte keine Schmerzen.
    Mit der Schere an Alexanders Schweizer Messer schnibbelte sichPema die Haare ab. Dil Bahadur konnte gar nicht hingucken, es gab ihm einen Stich. Mit jeder seidigen Strähne, die zu Boden fiel, kam mehr von Pemas langem Hals und schmalem Nacken zum Vorschein, schön war sie noch immer, auch wenn sie am Ende etwas von einem Lausbub hatte.
    »Jetzt kann ich als Bettelmönch gehen.« Sie lachte, zupfte sich Dil Bahadurs Umhang an den Schultern zurecht und strich sich über den Kopf, wo zwischen den kahlen Stellen noch einige Büschel stehen geblieben waren.
    Das Messer ging von Hand zu Hand, und die Mädchen schnitten sich gegenseitig die Haare ab. Dann setzten sie sich im Kreis und flochten eine dünne, schwarz schimmernde Schnur, die nach Moschus und Jasmin duftete.
    ~
    Sie machten es sich bequem, so gut das auf dem harten Felsboden eben ging. Im Reich des Goldenen Drachen schliefen eigentlich nur kleine Kinder dicht aneinander gekuschelt, aber was blieb ihnen anderes übrig, sie hatten ja nur ihre Kleider und die beiden Yakfelle gegen die Kälte. Tensing und Dil Bahadur waren durch ihr Leben hier oben abgehärtet. Sie überließen die Felle und den größten Teil ihrer Essensration den Mädchen. Alex wollte ihnen darin nicht nachstehen, obwohl ihm der Magen knurrte. Auch den zerquetschten Schokoriegel, den er am Grund seines Rucksacks gefunden hatte, teilte er in klitzekleinen Stückchen unter allen auf.
    Sie hatten wenig Brennmaterial und mussten das Feuer klein halten, aber zumindest boten ihnen die Flämmchen etwas Schutz. Sie würden die Tiger und Schneeleoparden fern halten. In einem Napf kochten sie Wasser, und dann gab es gesalzenen Buttertee, der sie gegen die Nachtkälte ein bisschen von innen wärmte.
    Wie Welpen übereinander gestapelt, lagen sie windgeschützt in der engen Felshöhle. Wegen der spöttischen Blicke seines Meisters wagte es Dil Bahadur nicht, an Pema heranzurutschen, obwohl er das zu gerne getan hätte. Er fragte sich, warum er ihr verschwiegen hatte, dass er der Sohn des Königs war und damit nicht ein Mönch wie jeder andere. Irgendwie war nicht der richtige Zeitpunktdafür gewesen, und doch empfand er sein Schweigen jetzt wie einen Verrat. Alex, Nadia und Borobá kuschelten sich eng aneinander

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