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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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einmal mit der Reise begonnen, warnte er sie, würde es kein Zurück geben. Sie würden die Hindernisse auf ihrem Weg überwinden müssen oder bei dem Versuch ihr Leben lassen, denn es sei ausgeschlossen, mit leeren Händen umzukehren.
    »Seid ihr sicher, dass ihr das wollt?«, fragte er sie.
    »Ich schon«, antwortete Nadia.
    Sie hatte keine Ahnung, wozu diese Eier dienen würden undwarum sie sie suchen sollte, aber sie zweifelte nicht an dem, was sie in ihrer Vision empfunden hatte. Sie mussten sehr wertvoll sein oder über große Zauberkräfte verfügen; für sie war Nadia bereit, ihre schlimmste Angst zu überwinden: die Angst vor der Höhe.
    »Ich auch«, sagte Alex und dachte, dass er sogar in die Hölle reisen würde, wenn er dadurch seine Mutter retten konnte.
    »Kann sein, dass ihr zurückkommt, kann auch sein, dass ihr nicht zurückkommt«, sagte der Zauberer zum Abschied bloß, denn für ihn war die Grenze zwischen Leben und Tod kaum mehr als eine dünne Rauchfahne, die sich im leisesten Windhauch in Luft auflösen konnte.
    Nadia hob Borobá von ihrer Hüfte hoch und erklärte ihm, dass sie ihn da, wo sie hinging, nicht mitnehmen konnte. Der Affe sprang auf den Boden, umschlang Walimais Bein, wimmerte und ballte die Fäuste, versuchte aber nicht, wieder zu ihr zu kommen. Beklommen umarmten sich Nadia und Alex ganz fest. Dann brach ein jeder in die Richtung auf, die Walimai ihm gewiesen hatte.
    ~
    Nadia kraxelte die Felstreppe hoch, die sie mit Walimai und Alex auf ihrem Weg aus dem Labyrinth in den Talkessel hinabgestiegen war. Bis dort oben zu dem Vorsprung fiel ihr der Aufstieg leicht, obwohl die Treppe sehr steil war, kein Geländer hatte und ihre schmalen Stufen unregelmäßig und ausgetreten waren. Gegen den Schwindel kämpfend, warf sie einen raschen Blick zurück auf das in grünblauen Dunst gehüllte Tal mit der prächtigen goldenen Stadt in der Mitte. Dann sah sie hinauf, und ihr Blick verlor sich in den Wolken. Der Talkessel schien sich nach oben zu verengen. Wie sollte sie bloß dort hinaufkommen? Sie würde Hakenfüße brauchen wie ein Käfer. Wie hoch war der Tepui überhaupt? Wie viel steckte in den Wolken? Wie sollte sie das Nest finden? Sie musste aufhören, über die Probleme zu grübeln, und auf die Lösungen vertrauen: Sie würde die Hindernisse eins nach dem anderen überwinden, so, wie sie sich ihr in den Weg stellten. Immerhin bin ich den Wasserfall hinaufgekommen, also schaffe ich das hier auch, dachte sie, obwohl sie ja diesmal nicht von Jaguar mit einem Seil gesichert wurde, sondern ganz allein war.
    Einmal auf dem Felsbalkon angekommen, endete die Treppe, und von nun an würde sie sich weiterhangeln und Halt suchen müssen, wo immer sich welcher bot. Sie rückte den Korb auf ihrem Rücken zurecht, schloss die Augen und suchte die Ruhe in ihrem Innern. Jaguar hatte ihr doch erklärt, wie die Bergsteiger das machten. Sie atmete ganz tief ein, sog die klare Luft in ihre Lungen und wollte ihren Körper bis hinein in die Zehen- und Fingerspitzen damit füllen. Dreimal atmete sie so, hielt die Augen geschlossen und rief das Bild des Adlers in sich wach. Sie stellte sich vor, wie sie die Arme ausbreitete und sie länger wurden, bis sie sich in die gefiederten Schwingen ihres Totemtieres verwandelt hatten, wie ihre Beine zu krallenbewehrten Greifvogelfängen wurden, wie in ihrem Gesicht ein kräftiger Schnabel wuchs und ihre Augen auseinander traten, bis sie seitlich an ihrem Kopf saßen. Sie spürte, wie aus ihren weichen Locken harte, eng an ihrem Schädel anliegende Federn wurden, die sie sträuben konnte, wann immer sie wollte, die Federn, die ihr sagten, was ein Adler wissen muss: Sie waren ihre Antennen, die noch die unmerklichste Regung in der Luft erfassten. Ihr Körper verlor seine Wendigkeit, aber dafür fühlte er sich so leicht an, dass sie sich von der Erde lösen und bis hinauf zu den Sternen hätte segeln können. Da war etwas übermächtig Großes in ihr, die ganze Kraft des Adlers. Als würde diese Kraft mit dem Blut durch sie hindurchgespült, spürte Nadia sie bis in die letzte Faser ihres Körpers und den hintersten Winkel ihres Bewusstseins. Ich bin Aguila, der Adler, sagte sie laut, und dann schlug sie die Augen auf.
    Nadia griff mit einer Hand in eine schmale Felskerbe oberhalb ihres Kopfes und setzte einen Fuß in eine zweite auf der Höhe ihrer Hüfte. Sie zog sich hoch und hielt inne, bis sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Mit der anderen Hand suchte sie

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