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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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fragen, welche letzten paar Strahlen mag er wohl meinen? Leos Strahlen? Oder die Strahlen dieser erleuchteten Ära? «
    Nervöses Lachen. Ionescu sah sich panisch um, versuchte den Securitate-Spitzel des Abends zu enttarnen. Nachdem er begriffen hatte, dass vor allem er selbst dafür in Frage kam, entspannte er sich. Einige Parteimitglieder waren auch da, von Leo als Rückversicherung für seine Freunde und sich selbst eingeladen – er wusste um ihre Korruptheit, denn er hatte sie häufig persönlich geschmiert. Leo verfolgte keine exklusive Taktik, sondern bezog die Leute nach Möglichkeit mit ein.
    Ottilia stieß mich an und nickte zu Maltschew, der ganz am Rand stand, auf seinen Empfänger sah und die Ohren spitzte, in denen sich ein Kopfhörer verbarg. Wir ahnten, dass etwas Wichtiges geschah, aber was es zu bedeuten hatte, wussten wir nicht. Wir lasen in Teeblättern, brüteten über Omen, ohne je herauszufinden, was sie verhießen. Alles war doppeldeutig, und deshalb wusste man nie, was man erfasst hatte: die wahre Bedeutung oder ihre Kehrseite.
    Leo winkte mich zu sich. »Wo steckt Trofim? Ruf ihn an. Finde heraus, was ihn aufhält.«
    »Diese ›Feier‹ schlägt mir auf den Magen.« Ottilia kam zu mir, nachdem Leo hinausgegangen war. »Ich finde es falsch, dass wir essen, trinken und so tun, als wäre alles nur ein Scherz, während um uns herum Menschen getötet werden.«
    »Ich glaube, das geht fast allen so«, erwiderte ich. »Sieh mal …« Maltschew griff nach seinem unhandlichen Mobiltelefon. »Ich versuche Sergiu zu erreichen, und dann fahren wir nach Hause.« Das Telefon vor der Küche war kaputt, also ging ich weiter durch den Flur, vorbei an den Vorratsräumen. Ganz am Ende befand sich der Weinkeller. Es roch nach Erde und Spinnweben. Die Tür war offen, und der Maître sah stumm zu mir auf, eine Paraffinlampe in der Hand, deren Schein über die Flaschen zuckte. Bevor ich nach einem Telefon fragen konnte, zeigte er auf eine Tür, die ich auf dem Weg nach unten übersehen hatte, und verschloss den Kellerraum. Ich hörte angeregtes Gemurmel, und der vertraute Geruch von Carpatis, die in einem überfüllten, ungelüfteten Raum gequalmt wurden, stieg mir in die Nase. Ich war hier vorbeigegangen, ohne den Raum bemerkt zu haben. Es war der Aufenthaltsraum der Kellner. Dort musste es ein Telefon geben.
    Als ich eintrat, verstummten die Gespräche. Der Qualm brannte in meinen Augen. Man riss meine Hand von der Klinke, schlug die Tür zu. Ich hatte gerade genug Zeit, um Leute zu sehen, die dicht gedrängt um einen Tisch saßen, manche in Uniform, andere mit Anzug oder Jeans. Am Kopfende des Tisches saß jemand, den ich nicht kannte, unrasiert, mit schütteren, dunklen Haaren und braun gebranntem Gesicht. Er war am unelegantesten von allen gekleidet, trug weder Sakko noch Krawatte, sondern nur ein Karohemd, schien aber den Ton anzugeben. Bevor ich noch mehr sehen konnte, packte mich jemand bei den Handgelenken und stieß mein Gesicht am Nacken gegen die Wand. Auch ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass der Raum voll war – allerdings nicht voller Kellner.
    »Was zum Teufel hast du gemacht, Andrei? Schon wieder gepennt?«
    »Verzeihung, Boss«, sagte der Mann, der mich festhielt. »Ich habe mir Zigaretten geholt, und als ich zurückkam, hat dieser Typ gerade die Tür geöffnet.« Andrei schob sein Gesicht neben meines. Sein Atem roch nach Carpatis und rohem Knoblauch.
    »Großartig. Und jetzt?« Das fragte ein anderer Mann. Stille trat ein. Dann schrammte ein Stuhl über den Boden, Schritte kamen auf mich zu. Irgendjemand berührte meine Schulter. Der Griff wurde gelockert. »Schaff ihn hier raus, Sergiu.« Ich erkannte die Stimme von Manea Constantin, angespannt und wachsam. »Ist schon gut. Wir regeln das.« Das hatte nicht die beabsichtigte beruhigende Wirkung auf mich. Schließlich hörte ich hinter mir Trofims Stimme. Er führte mich zur Tür hinaus, schärfte mir ein, mich nicht noch einmal umzudrehen.
    Im Flur rieb ich meinen Nacken. Trofim hielt meinen Arm, um sich abzustützen, obwohl ich es war, der sich wackelig auf den Beinen fühlte. »Keine Fragen«, sagte Trofim, bevor ich den Mund auftun konnte. Er lächelte freundlich, ja fast amüsiert, aber aus seinem Blick sprach Härte. »Wir feiern jetzt Leos offizielle Abschiebung.«
    Leos Party hatte einen toten Punkt erreicht. Maltschew war wieder da und stand vor dem Kamin, beobachtete die Tür. Als wir eintraten, verstummte er und sah Trofim an,

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