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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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unserer zweiten nächtlichen Expedition, die uns tief nach Dorobanti führte, stießen wir auf Männer und Frauen, die gerade ein Schwein brieten. Sie tranken Wein aus Fässern, saßen da oder tanzten im Lampenschein zum Klang von Geigen und Akkordeons. Niemand sprach. Sie tanzten nur, sangen oder gestikulierten, boten Essen und Trinken an. Was sie feierten, blieb unklar. Passanten wie wir, die zufällig vorbeikamen, waren verblüfft. Anfangs meinte man zu träumen, aber Leo war fest davon überzeugt, dass wir in die Vergangenheit gestolpert waren, die Grenze überschritten hatten, wie er sich ausdrückte. Diese Stadt, sagte er, wimmele von geisterhaften Kreuzwegen, an denen sich Gegenwart und Vergangenheit überschneiden würden, von aufgeworfenen Zeitschichten, in denen man schürfen könne. Wir verbrachten dort die ganze Nacht und brachen erst im Morgengrauen auf, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.
    Mir kam es vor, als sei ich in eine gemeinschaftliche Halluzination hineingezogen worden, aber Leo versicherte mir, alles sei wirklich gewesen. Wir stritten den ganzen Tag darüber; er meinte, wir könnten jederzeit dorthin zurückkehren, ja, wir würden es noch an diesem Abend tun. Einen bestimmten Weg zu gehen, die Straßen in einer bestimmten Reihenfolge abzulaufen, glich dem Aufsagen eines Zauberspruchs. Und wie jeder Zauberspruch hatte auch der verlorene Weg seine eigene Syntax und Wortfolge. Leo hatte recht. Wir fanden es wieder, ein mitternächtliches Fest auf einer Lichtung mitten in der Stadt, das wir noch zweimal aufsuchten, bis es endete. Danach begab sich Leo auf die nächste Suche, zum Beispiel nach dem unterirdischen Kasino, das wir anhand einer Karte der Katakomben fanden; es befand sich unter dem Atheneum in einem vergessenen Maschinenraum aus dem neunzehnten Jahrhundert, den man bei U-Bahn-Bauarbeiten entdeckt hatte. Bei unserem Eintreffen drängten sich Frauen und Männer um Spieltische, Kellner im Anzug servierten Getränke, und ein Pianist spielte auf einem elektronischen Keyboard. All das war wirklich genug, aber Leo glaubte, dass es sich um Menschen einer unterirdischen Gesellschaft handele, dass man das alte Bukarest unter der Erde neu erbaue und bevölkere. Leo konnte solche Orte auch jetzt noch aufspüren. Er hielt sie für Löcher in einer Art Raum-Zeit-Gewebe, für eine Zeit jenseits der Zeit, für einen Raum abseits des Raumes.
    Um dem Traum von der alten Stadt etwas entgegenzusetzen, überredete Leo mich zu einem Besuch im neuen Bukarest. Man hatte ganze ländliche Gemeinschaften in die Betonburgen der Außenbezirke zwangsumgesiedelt, Familien auseinandergerissen und in winzige Wohnungen gesteckt, die häufig weder fließendes Wasser noch Strom und oft nicht einmal Fenster hatten. Viele hatten ihre Tiere mitgebracht, und so trieben sich Schweine und Ziegen zwischen rostigem Metall und Betontrümmern herum, schissen in Ecken, zerwühlten die Innenhöfe. Hähne, von den Flutlichtern der Baustellen verwirrt, krähten mitten in der Nacht, und Hennen pickten unter Baugerüsten. Greise mit schmalen Augen und hornigen Händen schälten Kartoffeln, und Greisinnen, immer noch in bäuerlicher Tracht, saßen in Liegestühlen und sahen den Kränen zu, die am unvertrauten Horizont aufragten, lauschten Baggern und Betonmischern, die wie fremdartiges Vieh auf den Asphaltfeldern brüllten. Diese Umsiedlung war eine tragische Sache. Viele wanderten ab, kehrten auf das Land oder dorthin zurück, wo das Land einst gewesen war. Wenn man sie wiederfand, torkelten sie halb wahnsinnig am Rand der Autobahn; wenn sie es bis über die Stadtgrenze schafften, weinten sie über ihre planierten Hütten, ihr verlorenes Vieh. Die wenigen Zurückgebliebenen arbeiteten als Maschinisten in den industrialisierten Landwirtschaftsbetrieben, vielleicht auch im Schlachthof oder in den riesigen Hallen, in denen fest angekettete, dioxinverseuchte Schweine mit Angst und Dunkelheit gemästet wurden.
    Alles war wie gedämpft, zeitverzögert. Ich hörte den BBC World Service, der uns mit samtweicher, neutraler Stimme geduldig und kaltblütig versicherte, die Welt sei in bester Ordnung, obwohl die Nachrichten, die er brachte, etwas anderes nahelegten. Außerdem gab es noch das von den USA finanzierte Radio Free Europe, ein Sender, der im Ostblock für Ärger sorgte und deshalb regelmäßig gestört wurde. Er informierte zwar über die Sowjetunion, die Tschechoslowakei oder die DDR, erwähnte Rumänien aber fast nie, was die

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