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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Jahren niemals versäumt, den Frühling mit seiner Blütenpracht zu begrüßen, aber während all der Zeit keine einzige Kirsche getragen.
    »Ferngesteuert«, hatte Trofim geschrieben. Er hatte sich bei der Diffamierung Arghezis selbstverständlich nicht selbst die Hände schmutzig gemacht. Dafür hatte er einen ehrgeizigen jungen Akademiker ausgesucht. Die Drecksarbeit, die darin bestand, Arghezi in der Presse zu verunglimpfen, seine Leser und Freunde zu zwingen, sich von ihm abzuwenden, wurde von den Kettenhunden der Partei erledigt, angeführt von dem jungen Literaturprofessor. Zehn Jahre später, Trofim leitete die Rehabilitierung Arghezis, hatte er denselben, nicht mehr ganz so jungen Professor wieder mit an Bord geholt, damit dieser den Rang des alten Mannes als »Nationaldichter und Juwel unseres literarischen Lebens« festigte. Trofim hatte den Namen des Literaturfunktionärs weder in seinen Memoiren genannt noch auf meine wiederholte Frage preisgegeben. Ich war davon ausgegangen, dass dieser entweder verstorben oder in Vergessenheit geraten war.
    Ganz hinten in Arghezis Gedichtband stieß ich auf einen Umschlag mit vergilbten Zeitungsausschnitten, nach zunehmender Giftigkeit geordnet. Der erste Artikel, aus dem März 1965, trug den Titel »Rückzug der bourgeoisen Dichtung«. Der nächste, einige Wochen später erschienen, hieß »Emotionale Pornographie«. Der letzte, mit der Überschrift »Fäulnis und Verfall: Arghezis Verleumdung des Lebens«, plädierte für den Ausschluss Arghezis aus dem Schriftstellerverband und die Verbannung seiner Werke aus den Lehrplänen. Für alle Artikel zeichnete Andrei Ionescu.
    Ionescu! Er hatte auf Trofims Geheiß gehandelt! Die jüngsten Artikel im Umschlag, zehn Jahre später erschienen, stellten Arghezi dann wieder vom Kopf auf die Füße. In einem wurde argumentiert, der sozialistische Geschmack sei inzwischen so fest verankert, dass er die Berührung mit den »Verwirrungen der Subjektivität, dieser dunklen Rückseite der objektiven Wahrheiten des wissenschaftlichen Materialismus« nicht zu scheuen brauche. Und so tauchte am Ende »ein Gigant der Weltliteratur aus der Vergessenheit auf, in welcher er aufgrund der ihm eigenen Bescheidenheit und Sanftmütigkeit versunken war«. Das war entsetzlich verlogen, aber auch absurd, wenngleich die Angst und die Brutalität, die sich dahinter verbargen, nicht zu verkennen waren. Leo sah, wie ich die Artikel überflog. Er hatte sie längst gelesen.
    »Ungeheuerlich, oder? Der alte Ionescu zieht den Ruf dieses alten Knaben in den Dreck und jubelt ihn einige Jahre später zum größten Dichter des Jahrhunderts hoch! Das übersteigt das Vorstellungsvermögen! Warte ab, bis ich Ioana davon erzählt habe – damit verglichen ist das, was heute hier läuft, regelrecht prinzipientreu.«
    Ich klappte das Buch zu und stellte es wieder in das Regal, war traurig und enttäuscht. Von was genau? Von wem? Im Grunde hatte ich all das längst gewusst. Ich wusste Bescheid über Trofim, Ionescu, Cilea, Leo und die anderen, und ich wusste auch, dass ich mich zu ihrem Komplizen gemacht hatte. Aber jetzt fühlte ich mich allein und ausgeschlossen, kam mir sowohl wie ein Mittäter als auch wie ein ahnungsloses Opfer vor, das durch eine Welt mit sich ständig ändernden Bedingungen stolperte, deren Regeln jedoch immer gleich bleiben würden.
    »Mir egal, was er angestellt hat.« Leo schien mit sich selbst zu diskutieren, denn ich hatte nichts gesagt. »Er ist schon in Ordnung, unser Ionescu, das arme Schwein. Hier gibt es keine Gewinner. Sogar der alte Trofim hat nicht gewonnen. Er hat seine hübsche Wohnung, und er hatte die Macht, die Geliebten, das Geld, die Auslandsreisen. Und wozu das alles? Für ein in die Knie gehendes System, für eine Stadt, die vor seinen Augen in Schutt und Trümmer fällt. Was da draußen herumgeistert – die düstere Wolke, die Securitate, die Motorkade, die Hundedoubles –, ist nicht das Böse, sondern nur das Versagen. Ein unaufhörliches Versagen auf ganzer Linie – lass dir das auf der Zunge zergehen! Es schmeckt wie eine teure Flasche Pomerol oder Chateaubriand im Capsia, wie die Rinde eines alten Kartoffelbrotes, wie nordkoreanische Sardellen aus der Dose. Ob du nun Cileas Chanel No. 5 oder den Achselschweiß einer Pennerin am Bahnhof in der Nase hast – der Mief bleibt gleich, und es ist der Mief des Versagens.«
    Ich schwieg dazu. Später, ich war schon halb eingeschlafen, konnte ich Ottilia neben mir riechen.

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