Die achte Karte
vorher gekannt hatte oder einfach nur jemand war, der seinem Neffen die Gelegenheit bot, seine rührselige Geschichte loszuwerden. So oder so, er durfte nicht riskieren, dass Hal mit Hilfe dieser Frau noch mehr Ärger machte als ohnehin schon. Er würde sich seine Pläne nicht durch Gerüchte und Anspielungen torpedieren lassen.
Julian ging über die Hintertreppe nach oben und den Flur entlang. Mit seinem Generalschlüssel öffnete er die Tür zu Meredith Martins Zimmer. Er machte ein paar Polaroidfotos, damit er den Raum später wieder in exakt denselben Zustand zurückversetzen konnte, in dem er ihn vorgefunden hatte, und begann mit der Durchsuchung. Als Erstes nahm er sich den Nachttisch vor. Rasch ging er die Schubladen durch, fand aber nichts Interessantes außer zwei Flugtickets, eines von Toulouse nach Paris am Freitagnachmittag, das andere für ihren Rückflug in die Vereinigten Staaten am 11 . November.
Er ging zum Schreibtisch hinüber. Ihr Laptop war eingestöpselt. Er klappte den Deckel auf und fuhr den Computer hoch. Es war ganz einfach. Das Betriebssystem war nicht passwortgeschützt, und sie hatte den kabellosen Internetzugang des Hotels genutzt.
Zehn Minuten später hatte Julian ihre E-Mails durchgelesen – langweiliger Privatkram, nichts von Bedeutung –, war ihrer Online-Spur über die letzten Webseiten gefolgt, die sie aufgerufen hatte, und hatte sich ein paar von ihren Dateien angeschaut. Nichts davon ließ vermuten, dass sie eine Journalistin auf der Jagd nach einer Story war. Hauptsächlich regionale Geschichte. Es gab ein paar Bemerkungen über Recherchen in England und rudimentäre Notizen – Adressen, Daten, Uhrzeiten – über Paris.
Als Nächstes ging Julian ihre Bilddateien chronologisch durch. Die ersten Fotos waren in London aufgenommen worden. Es gab einen Ordner mit Aufnahmen aus Paris – Straßenszenen, Sehenswürdigkeiten, sogar eine von einem Schild mit den Öffnungszeiten des Parc Monceau.
Der letzte Ordner trug den Namen Rennes-les-Bains. Er öffnete ihn und sah die Bilder durch. Und die gaben ihm schon eher zu denken. Da waren einige Fotos vom Flussufer am nördlichen Ortseingang, vor allem zwei von der Brücke und dem Tunnel genau an der Stelle, wo Seymours Auto von der Straße abgekommen war.
Andere zeigten den Friedhof hinter der Kirche. Eine Aufnahme des Place des Deux Rennes war von dem überdachten Portal aus gemacht worden, und ein Detail darin verriet ihm sogar, wann. Julian verschränkte die Finger hinter dem Kopf. In der unteren rechten Ecke des Bildes war nämlich ein kleines Stück des Tischtuchs zu sehen, auf dem das Kondolenzbuch gelegen hatte.
Er runzelte die Stirn. Meredith Martin war gestern Abend in Rennes-les-Bains gewesen und hatte Fotos von der Beerdigung und dem Ort gemacht.
Warum?
Während Julian den Bilderordner auf seinen USB -Stick kopierte, suchte er nach irgendwelchen harmlosen Erklärungen, fand aber keine.
Er schloss sämtliche Dateien, fuhr den Laptop herunter und ließ alles so, wie er es vorgefunden hatte, dann wandte er sich dem Kleiderschrank zu. Nachdem er noch ein paar Polaroidfotos gemacht hatte, ging er systematisch alle Kleidungsstücke durch, die gestapelten T-Shirts und die Schuhe, fand aber nichts Auffälliges.
Unten im Schrank lag eine weiche schwarze Reisetasche, auf der ein Paar Stiefel und ein Paar Pumps von LK Bennett abgestellt waren. Julian ging in die Hocke, öffnete den Reißverschluss und spähte hinein. Die Tasche war leer bis auf ein Paar Socken und ein Perlenarmband, das sich im Innenfutter verfangen hatte. Er schob die Finger in jede Ecke, fand aber nichts. Als Nächstes sah er die Außentaschen durch. Zwei große Fächer an beiden Enden, leer, sowie drei kleinere Fächer an den Längsseiten. Er hob die Tasche aus dem Schrank, drehte sie um und schüttelte sie. Sie kam ihm schwer vor. Er drehte sie wieder um und zog an dem Pappboden. Mit einem reißenden Geräusch des Klettverschlusses löste sich der Boden und brachte ein weiteres Fach zum Vorschein. Julian griff hinein und holte ein rechteckiges, in schwarze Seide eingeschlagenes Päckchen hervor. Mit Daumen und Zeigefinger entfaltete er es.
Und erstarrte. Das Gesicht von La Justice starrte zu ihm hoch.
Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er zu halluzinieren, doch dann erkannte er, dass es sich bloß um einen weiteren Nachdruck handelte. Er fächerte die Karten auf, um ganz sicherzugehen, halbierte den Stoß zweimal.
Gedruckt und laminiert,
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