Die achte Karte
sagte sie. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mich unterwegs am Hotel abzusetzen, wäre das prima.«
Sie war froh, dass Hal ein enttäuschtes Gesicht machte, wenn auch nur für einen Moment.
»Ist wahrscheinlich wirklich besser, wenn ich allein hinfahre, schließlich tun die Leute mir einen Gefallen.«
»Das denke ich auch«, sagte sie und berührte kurz seine Hand.
Hal startete den Wagen und setzte zurück.
»Wie wär’s denn mit später?«, fragte er, während er durch die enge Straße manövrierte, die aus Rennes-le-Château hinausführte. »Wir könnten uns auf einen Drink treffen. Vielleicht sogar zum Abendessen? Falls Sie nichts anderes vorhaben.«
»Gern«, erwiderte sie mit einem betont gelassenen Lächeln. »Abendessen wäre schön.«
Kapitel 49
J ulian Lawrence stand am Fenster seines Arbeitszimmers auf der Domaine de la Cade, als sein Neffe den Wagen wendete und erneut die lange Einfahrt hinabfuhr. Er richtete sein Augenmerk auf die Frau, die gerade ausgestiegen war und jetzt zum Abschied winkte. Die Amerikanerin, vermutete er.
Er nickte anerkennend. Gute Figur, sportlich, aber zierlich, glattes dunkles, schulterlanges Haar. Es wäre bestimmt keine Zumutung, ein bisschen Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen.
Dann wandte sie sich um, und er sah ihr Gesicht.
Julian hatte sie schon mal gesehen, konnte sich aber nicht erinnern, wo und wann. Er kramte in seinem Gedächtnis, bis es ihm wieder einfiel. Die aufdringliche Ziege von dem Verkehrsstau in Rennes-les-Bains gestern Abend. Der amerikanische Akzent.
Wieder durchfuhr ihn die Paranoia wie ein Blitz. Falls Ms. Martin hier mit Hal zusammenarbeitete und erwähnt hatte, dass sie ihn auf der Fahrt in die Stadt gesehen hatte, dann würde sein Neffe sich die berechtigte Frage stellen, wo er gewesen war. Und dahinterkommen, dass Julians Erklärung für sein Zuspätkommen keinen Sinn ergab.
Er leerte sein Glas und traf dann eine spontane Entscheidung. Mit drei Schritten durchquerte er das Zimmer, nahm sein Jackett von der Stuhllehne und ging hinaus, um die Amerikanerin in der Lobby abzufangen.
Auf der Rückfahrt von Rennes-le-Château wurde Meredith mehr und mehr von Jagdfieber gepackt. Vorher hatte sie Lauras Geschenk als Last empfunden. Jetzt schienen die Tarotkarten voller faszinierender Möglichkeiten zu stecken.
Sie wartete, bis Hals Wagen nicht mehr zu sehen war, dann drehte sie sich um und ging die Stufen hinauf zum Hoteleingang. Sie war nervös, aber auch wie unter Strom. Dieselben widersprüchlichen Gefühle, die sie während der Sitzung mit Laura erlebt hatte, waren mit voller Wucht zurückgekehrt. Hoffnung und Skepsis, gespannte Erwartung und die Angst, dass sie zwei und zwei zusammenzählte und auf fünf kam.
»Ms. Martin?«
Überrascht blickte Meredith in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und sah Hals Onkel durch die Lobby auf sie zukommen. Sie verkrampfte sich ein wenig, hoffte, dass er sie nach ihrem übellaunigen Wortwechsel am Vorabend in Rennes-les-Bains nicht wiedererkennen würde. Aber heute lächelte er.
»Ms. Martin?«, sagte er erneut und streckte ihr die Hand hin. »Julian Lawrence. Ich wollte Sie nur in der Domaine de la Cade willkommen heißen.«
»Danke.«
Sie schüttelten sich die Hände.
»Und außerdem«, er stockte mit einem leichten Achselzucken, »wollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich gestern in der Stadt so barsch war. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie eine Freundin meines Neffen sind, hätte ich mich selbstverständlich gleich vorgestellt.«
Meredith wurde rot. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich an mich erinnern, Mr. Lawrence. Ich fürchte, ich war selbst auch ganz schön unhöflich.«
»Nein, keineswegs. Hal hat Ihnen ja bestimmt erzählt, dass es für uns alle gestern ein schwerer Tag war. Das ist keine Entschuldigung, ich weiß, aber …«
Er ließ die Entschuldigung im Raum stehen.
Meredith bemerkte, dass er wie Hal dazu neigte, einen Menschen so unverwandt anzuschauen, als nähme er nichts anderes mehr wahr. Und obwohl er bestimmt dreißig Jahre älter war, besaß er das gleiche Charisma wie Hal, die Fähigkeit, einen Raum zu füllen. Sie fragte sich, ob Hals Vater ebenso gewesen war.
»Natürlich«, sagte sie. »Mein aufrichtiges Beileid, Mr. Lawrence.«
»Julian, bitte. Und vielen Dank. Es war ein großer Schock.« Er schwieg kurz. »Wo wir gerade von meinem Neffen sprechen, Ms. Martin, Sie wissen nicht zufällig, wohin er verschwunden ist? Ich hatte
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