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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Paketen im Arm kehrt und ging davon.
    Léonie sah ihm nach.
    Als er um die Ecke bog, fiel ihr etwas auf. Sie sah jemanden in einem blauen Umhang, der in die Gasse sprang, die zur Kirche führte, als wollte er nicht gesehen werden. Léonie runzelte die Stirn, dachte dann aber nicht weiter darüber nach, sondern wandte sich um und ging zurück Richtung Fluss.
    Vorsichtshalber beschloss sie, falls Pascal auf die Idee kam, ihr zu folgen, über die Straße, an der Monsieur Baillards Häuschen lag, zum Postamt zu gehen.
    Sie lächelte einigen Bekannten von Isolde zu, blieb aber bei niemandem auf einen kurzen Plausch stehen. Binnen Minuten hatte sie ihr Ziel erreicht, und zu ihrer großen Verblüffung waren die blauen Fensterläden des kleinen Hauses geöffnet.
    Léonie blieb stehen. Isolde war sicher gewesen, dass Monsieur Baillard Rennes-les-Bains für längere Zeit verlassen hatte. Zumindest bis zum Sankt-Martins-Tag, das hatte man ihr zumindest gesagt. War das Haus in der Zwischenzeit an jemand anderen vermietet worden? Oder war er vorzeitig zurückgekehrt?
    Léonie schaute die Rue de l’Hermite hinunter, die weiter unten auf die Straße mündete, an der das Postamt lag. Der Gedanke, dass dort möglicherweise ein Brief auf sie wartete, versetzte sie in fieberhafte Aufregung. Seit Tagen hatte sie kaum an etwas anderes denken können. Doch nach dieser Phase freudiger Erwartung überkam sie nun plötzlich die Angst, ihre Hoffnungen könnten enttäuscht werden. Dass es vielleicht gar keine Nachricht von Monsieur Constant gab.
    Und sie hatte Monsieur Baillards Abwesenheit nun schon seit Wochen bedauert. Wenn sie vorbeiging, ohne bei ihm anzuklopfen, und später feststellte, dass sie die Gelegenheit, die Bekanntschaft mit ihm zu erneuern, verpasst hatte, würde sie sich das nie verzeihen.
    Falls es einen Brief gibt, dann liegt er auch in zehn Minuten noch dort.
    Léonie ging zur Tür und klopfte.
    Einen Augenblick lang geschah nichts. Sie schob das Ohr näher an das gestrichene Holz und hörte kaum wahrnehmbare Schritte auf einem Fliesenboden.
    »
Oc?«,
ertönte die Stimme eines Kindes.
    Sie trat einen Schritt zurück, als die Tür aufging, und auf einmal war es ihr unangenehm, dass sie so unangekündigt hier auftauchte. Ein kleiner dunkelhaariger Junge, dessen Augen die Farbe von Brombeeren hatten, blickte zu ihr hoch.
    »Ist Monsieur Baillard zu Hause?«, fragte sie. »Ich bin Léonie Vernier. Madame Lascombes Nichte. Von der Domaine de la Cade.«
    »Erwartet er Sie?«
    »Nein. Ich kam zufällig vorbei und habe mir erlaubt, unangemeldet anzuklopfen. Falls ich ungelegen …«
    »Que ès?«
    Der Junge drehte sich um. Beim Klang von Monsieur Baillards Stimme lächelte Léonie vor Freude. Ermutigt rief sie: »Ich bin’s, Léonie Vernier, Monsieur Baillard.«
    Augenblicke später erschien die unverkennbare Gestalt im weißen Anzug, an die sie sich so lebhaft von dem Diner her erinnerte, am Ende des Flurs. Selbst im Halbdunkel der engen Diele konnte Léonie sehen, dass er lächelte.
    »Madomaisèla Léonie«, sagte er. »Was für ein unerwartetes Vergnügen.«
    »Ich habe einige Erledigungen für meine Tante gemacht – sie war nicht ganz wohlauf –, und Pascal ist schon zurückgefahren. Ich hatte geglaubt, Sie wären zurzeit nicht in Rennes-les-Bains, aber als ich die offenen Fensterläden sah, da …«
    Sie merkte, dass sie ins Plappern geraten war, und verstummte.
    »Ich bin entzückt, Sie zu sehen«, sagte Baillard. »Bitte, kommen Sie doch herein.«
    Léonie zögerte. Er war zwar ein Mann von ehrenwertem Ruf, ein Bekannter von Tante Isolde und gerngesehener Gast auf der Domaine de la Cade, aber dennoch war ihr bewusst, dass es für eine junge Frau als unschicklich angesehen werden könnte, allein das Haus eines Herrn zu betreten.
    Aber es sieht doch keiner.
    »Danke«, sagte sie. »Das ist sehr liebenswürdig.«
    Sie trat über die Schwelle.

Kapitel 71
    ∞
    L éonie folgte Monsieur Baillard den Flur entlang und betrat ein freundliches Zimmer im rückwärtigen Teil des kleinen Hauses. Ein einziges großes Fenster nahm eine gesamte Wand ein.
    »Oh«, rief sie. »Dieser Blick ist ja genauso vollkommen wie ein Bild.«
    »Das ist wahr«, sagte er lächelnd. »Ich kann mich glücklich schätzen.«
    Er läutete eine kleine silberne Glocke, die auf einem niedrigen Beistelltisch neben dem Ohrensessel stand, in dem er offenbar gelesen hatte, gleich vor dem großen gemauerten Kamin. Derselbe Junge erschien. Léonie schaute

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